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Die schleichende Katastrophe: Wie unsere Tier- und Pflanzenwelt verschwindet

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Von: Raphaela Lohmann

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Durch eine Pilzkrankheit gefährdet: Der Feuersalamander.
Gefährdet: Der Feuersalamander. © Bund Naturschutz

Am 3. März ist der „Tag des Artenschutzes“. Die OVB Heimatzeitungen haben darüber mit dem Kreisvorsitzenden des Bund Naturschutz Mühldorf, Dr. Andreas Zahn, gesprochen.

Waldkraiburg – Am 3. März ist der „Tag des Artenschutzes“. Das ist ein im Rahmen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens eingeführter Aktions- und Gedenktag. Durch das am 3. März 1973 unterzeichnete Abkommen sollen bedrohte wildlebende Arten geschützt werden, die durch Handelsinteressen gefährdet sind. Die OVB Heimatzeitungen haben darüber mit dem Kreisvorsitzenden des Bund Naturschutz, Dr. Andreas Zahn, gesprochen.

Welche Tierarten sind in der Region besonders gefährdet oder vielleicht sogar schon verschwunden? Was ist Ursache für den Rückgang der Arten?

Dr. Andreas Zahn: Im Lauf der Jahrhunderte wurden viele Arten ausgerottet, an die man gar nicht mehr denkt: etwa Auerochs, Elch, Wisent und Rothirsch. In jüngerer Zeit starben Arten aus, deren Lebensräume wir zerstört haben: Die Tamariske, ein Strauch der in der Wildflusslandschaft am Inn bei Mühldorf zuhause war, der Warzenbeißer, eine Heuschrecke der mageren Wiesen, der Wiedehopf, der Viehweiden und alte Obstbäume mag, das Braunkehlchen und der Brachvogel, deren Brutplätze der Entwässerung des Isentals zum Opfer gefallen sind. Und das sind nur wenige Beispiele.

Gab es in den vergangenen Jahren erfolgreiche Versuche, Arten wieder hier heimisch zu machen?

Zahn: Durch Verfolgung ausgerottete Arten, deren Lebensraum noch vorhanden ist, können sich erholen, wenn man ihnen nicht mehr nachstellt. Biber und Uhu sind wieder eingewandert, auch der Kolkrabe wurde schon gesichtet. Manche seltene Arten werden durch Nachzucht unterstützt. So wildern örtliche Jäger Rebhühner aus. Die Fischer vermehren Arten wie den Huchen, für den der Inn kaum noch geeignete Laichplätze bietet. Der Landesbund für Vogelschutz schafft Nistplätze für den Storch, der tatsächlich im Landkreis deutlich zugenommen hat. Durch die untere Naturschutzbehörde werden seltene Arten wie das Löffelkraut vermehrt und ausgebracht. Es gibt auch wärmeliebende Tierarten, die bei uns einwandern: Beispiele sind die Feuerlibelle, der Bienenfresser, die Sichelschrecke und die Holzbiene. Insgesamt ist die Bilanz aber deutlich negativ.

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Welche Projekte unterstützt der Bund Naturschutz im Landkreis zur Artenvielfalt?

Zahn: Wir pflegen Lebensräume besonderer Tier- und Pflanzenarten bei Jettenbach, Aschau, Walkersaich und Heldenstein durch traditionelle Weidewirtschaft. Dabei kooperieren wir mit Landwirten und Grundeigentümern und werden von der Naturschutzbehörde und der Zeidler-Stiftung unterstützt. Wir initiieren und begleiten solche Projekte zudem auf anderen Flächen und beraten Grundeigentümer, wie sie seltene Arten fördern können.

Die Bund-Naturschutz-Kiesgrube ist mittlerweile eine artenreiche Weidelandschaft geworden.
Die Bund-Naturschutz-Kiesgrube ist mittlerweile eine artenreiche Weidelandschaft geworden. © Bund Naturschutz

Die Erfahrungen aus unseren Projekten bereiten wir auf und stellen sie Behörden und Verbänden zur Verfügung. Wir versuchen außerdem, möglichst viele Menschen für die Vielfalt der Natur zu begeistern, auf Führungen wie am Toteiskesselweg, beim Wasserbüffelfest oder im Rahmen von Aktionen wie „Allen Unkenrufen zum Trotz“ und der Wiesenmeisterschaft.

Was kann man als Einzelner unternehmen, um die Artenvielfalt zu fördern?

Zahn: Durch naturnahe Gärten kann man viele Arten fördern, wenngleich meist nicht die sehr seltenen. Hier gibt es großen Nachholbedarf, wie wir in einer Untersuchung 2021 gezeigt haben: In Waldkraiburg waren nur elf Prozent der Gärten wirklich naturnah. Wichtig ist auch das Konsumverhalten: Dabei denke ich nicht nur an Lebensmittel aus naturverträglichen Anbau. Als Urlauber kann man sein Geld gezielt dort ausgeben, wo Wildnis oder auch artenreiche bäuerliche Kulturlandschaften erhalten werden.

Aber ganz entscheidend ist die Einflussnahme auf die Politik. Den Rückgang der Artenvielfalt wird man nur durch eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen aufhalten können: Im Kleinen kann man seine Stadt oder Gemeinde loben, wenn sie Straßenränder blühen lässt oder beim Baugebiet heimische Gehölze verwendet.

Wo muss man auf Landkreisebene an einem Strang ziehen, um die Artenvielfalt auf einer breiteren Basis zu fördern? Wo gibt es bereits erste Fortschritte?

Zahn: Wir haben im Landkreis zum Glück ein fachkundiges Team an der Naturschutzbehörde und einen engagierten Landschaftspflegeverband. Dadurch gelingt es vielerorts, Lebensräume für seltene Arten anzulegen und zu pflegen. So wurden durch das Projekt „Blühendes Inntal“ viele Trockenstandorte durch Pflege offen gehalten und damit Paradiese für bedrohte Wildbienen und Schmetterlinge. Die Wildland-Stiftung Bayern bemüht sich um Feuchtlebensräume im Isental. Beim Artenschutz helfen zahlreiche Landwirte mit, etwa im Rahmen des Vertragsnaturschutzprogramms oder sie erhalten artenreiche Wiesen durch traditionelle Heuwirtschaft. Andere pflanzen Hecken oder dulden blühende Rosen- und Weißdornsträucher auf der Jungviehweide, so dass sich Neuntöter oder Dorngrasmücke wohlfühlen. Und Ackerbauern machen mit bei der Sicherung von Kiebitzbrutplätzen auf den Feldern oder dem Schutz gefährdeter Ackerwildkräuter, einem Projekt der Ökomodellregion Mühldorfer Land.

Im Landkreis wieder eingewandert: Der Uhu.
Im Landkreis wieder eingewandert: Der Uhu. © Bund Naturschutz

Nicht zuletzt aufgrund der Diskussionen rund um das Bienenvolksbegehren pflegen zudem viele Gemeinden ihre Grünflächen naturnäher, auch der Landkreis selbst optimiert fortlaufend die Pflege und Gestaltung seiner „Eh-da-Flächen“. Und bei Bauprojekten geht man sorgsamer mit gefährdeten Arten um. So hat der VERBUND im Zuge der Innkanalerneuerung seltene Pflanzen aus gesammelten Samen angezogen und jetzt ausgesetzt. Doch insgesamt ist das Netz naturnaher Lebensräume immer noch zu löchrig, das gesetzlich verankerte Ziel von 15 Prozent Biotopverbund im Offenland scheint unerreichbar.

Der Bund Naturschutz hat seit Jahren die Kiesgrube bei Haigerloh „in Betrieb“. Wie konnte hier aus einer kargen Kiesgrube neuer Lebensraum geschaffen werden?

Zahn: Die Bund Naturschutz-Kiesgrube ist ein Beispiel für den Erhalt der Artenvielfalt durch traditionelle Landwirtschaft. Wir haben die verschwundene Landschaft der Hutweide wieder aufleben lassen. Wir können zeigen, dass mit vertretbarem Pflegeaufwand ein Paradies für Flora und Fauna erhalten werden kann. Aber selbst wenn dank zusätzlich eingebrachter Flächen des Landkreises und der Autobahndirektion das beweidete Areal jetzt 14 Hektar groß ist: Für viele Arten ist es noch zu klein und isoliert. Prominentes Beispiel ist der Wiedehopf, Vogel des Jahres 2022. Er schaut im Frühjahr kurz vorbei, aber zieht dann weiter. Wir würden uns eine große wilde Weide in jeder Gemeinde wünschen, vielleicht können wir ihn dann zum Bleiben bewegen.

Der Klimawandel ist in aller Munde, vom Verlust der Artenvielfalt wird wenig gesprochen. Woran liegt das?

Zahn: Der Klimawandel wird jeden betreffen, die immer häufigeren Extremwetterlagen mit Dürre, Hitze, Hagel und Überschwemmung haben dies gezeigt. Dies geht uns nahe und oft auch an den Geldbeutel. Der Schwund der Artenvielfalt geht hingegen schleichend und fällt nicht auf, schon weil die meisten Leute nur wenig Arten kennen. Und wenn wir etwas nicht kennen, vermissen wir es nicht. Solange Amsel und Rotkehlchen noch singen, merken die wenigsten, dass Girlitz und Gartenrotschwanz im Morgenchor fehlen.

Hat stark abgenommen: Der Wiesen-Salbei.
Hat stark abgenommen: Der Wiesen-Salbei. © Bund Naturschutz

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