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Ein Spiel mit Seilen und Fesseln: Wie Magierin Medea auf aktuelle Themen aufmerksam macht

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Von: Rainer W. Janka

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Alle sind verstrickt in die Machenschaften von Akamas (Mitte, Oliver Vilzmann): Jason (links, Andreas Schwankl), die Königin Merope (hinten links, Sara Sukarie), Glauke (hinten rechts, Miriam Brodschelm) und Medea (rechts: Anna März).
Alle sind verstrickt in die Machenschaften von Akamas (Mitte, Oliver Vilzmann): Jason (links, Andreas Schwankl), die Königin Merope (hinten links, Sara Sukarie), Glauke (hinten rechts, Miriam Brodschelm) und Medea (rechts: Anna März). © Janka

So zeigt Regisseurin Anna Grude Christa Wolfs Adaption der Sage um die Magierin Medea im „Affekt“ in Rosenheim.

Rosenheim – Der Mythos um die Magierin Medea aus Kolchis, die ihren Bruder getötet hat, um Jason den Raub des Goldenen Vlieses zu ermöglichen, und ihre Kinder geschlachtet hat, um den untreuen Jason zu bestrafen, ist schon vielfach bearbeitet worden, auch von Christa Wolf. Ihre Medea will in ihrer Heimat nicht mehr bleiben und flieht mit dem Argonautenführer Jason und einer kleinen Schar von Kolchern in das reiche Korinth, in dem andere Sitten herrschen und andere Werte gelten als in dem archaischen Kolchis. In dieser Version hat Medea nichts davon getan, was der Mythos ihr zuschreibt. Medea ist einfach eine selbstbewusste, wenn auch fremdartige und deswegen Angst einflößende Frau.

Monologe von sechs Personen

Wolf löst die Geschichte in Monologe von sechs Personen auf, die wiederum hat die Regisseurin Anna Grude dramatisiert und auf die Bühne des „Affekt“ in der ehemaligen Wirtschaft „Zur Brezn“ in der Wittelsbacherstraße gebracht, das der kulturellen Zwischennutzung dient: Heimatlosigkeit auch hier.

Bestürzend aktuell ist Christa Wolfs „Medea“, weil es Themen wie Flucht, Asyl, Integration, Frauenrollen und Machtkämpfe abhandelt. Mit einem simplen, aber höchst wirkungsvollen Kniff hat die Regisseurin die Verstrickung aller sechs Personen in die korinthischen Machtkämpfe und Männermachenschaften symbolisiert: Um ein Rohrgestänge wickeln sich Stricke, in die alle Korinther eben verstrickt, verwickelt, verknüpft, (ein)gebunden, angehängt, ja gefesselt sind. Die Personen winden sich diese Seile herum, benutzen sie als Krone oder als Zeichen der Zugehörigkeit zur korinthischen Kultur. Auch das grausame Geheimnis der Korinther, die Opferung der Königstochter Iphinoe, um das Patriarchat zu erhalten, ist ein Seilknäuel: ein Spiel mit Seilen und Fesseln.

Anna Grude lässt den dichten und gedankenreichen Text nicht bloß sprechen, sondern lebendig werden, die Figuren sind immer in Bewegung, ranken sich um das Rohrgestänge - vielleicht ein Symbol für die korinthische Gesellschaft -, klettern daran hinauf oder lassen sich daran hängen. Die Massenhysterie, die Todesopfer fordert, wird im Dunkeln vom Chor erzählt. Jason steigt der korinthischen Königstochter Glauke buchstäblich nach hinauf auf die schwarzen Podeste, Medea, als einzige bloßfüßig und als einzige farbig gekleidet, kommt von hinten, also aus der Fremde, herein: Diese Inszenierung ist höchst durchdacht und gedanklich geschlossen.

Musik verstärkt Stimmung

Oliver Vilzmann hat dazu eine Musik eingerichtet, die meist elektronisch dröhnt, atmosphärisch schillert, manchmal gluckst, immer jedoch die Stimmung verstärkt. Dazu spielt er noch Akamas, den Hofastronomen, eigentlich Hofintriganten, der heimlich die Vernichtung Medeas betreibt, auch mit Hilfe von Massenhysterie nach dem Motto: „Was den Menschen antreibt, ist stärker als der Verstand.“ Statuarisch eindrucksvoll, dürfte er noch etwas durchtriebener, schleimiger, wirken. Sara Sukarie hat eine Doppelrolle: Als Königin Merope bewegt sie sich stumm und marionettenhaft, als Agameda, einst Medeas Schülerin, jetzt zu den Korinthern übergelaufen, ist sie fast beängstigend intensiv.

Miriam Brodschelm ist als die Königsprinzessin Glauke mädchenhaft liebesverwirrt mit oft irre weit geöffneten Augen (im Buch hat sie Epilepsieanfälle) und innigst mit ihrer Figur verbunden. Zuerst liegt sie auf dem Podest im Hintergrund liebesverschlungen mit Medea, dann wird sie, immer noch zaghaft, zu Jasons Braut, mit Seilen buchstäblich aneinandergebunden. Eindringlich und fast mitleidheischend verkörpert Andreas Schwankl den Jason in seiner hilflosen Männlichkeit in sozial prekärer Lebenslage, rhetorisch gewandt, aber eingeschüchtert von Medeas Weiblichkeit, auch körperlich Medea unterlegen.

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„Sie müssen mich loswerden“

Die Medea ist Anna März, hoheitsvoll, die Intrigen durchschauend und sie aussprechend, damit gefahrvoll für Korinth und Unruhe stiftend durch ihre bloße Anwesenheit: „Sie müssen mich loswerden!“, weiß sie. Das Fremdsein sieht man ihr an – aber sie dürfte ruhig noch schneidender sprechen und flammender, gefährlicher, hochmütiger auftreten. Aber auch so hat das eine Logik: Das bloße Frausein ist manchmal schon gefährlich genug – für eine Männergesellschaft. Weitere Aufführungen im „Affekt“, Wittelsbacherstraße 37, gibt es an den Wochenenden jeweils um 20 Uhr bis zum 24. März.

Karten gibt es unter tickets.affekt@gmail.com sowie an der Abendkasse.

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