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Hoffnungslosigkeit im Ahrtal: Helfer aus der Region kritisieren die Lage nach der Jahrhundertflut

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Von: Paula L. Trautmann

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Kritisieren die Lage im Ahrtal: (von links) Georg Fortner von der Pruttinger Heizungsfirma Franz Fischer und der Frasdorfer Sanitär- und Heizungsmeister Florian Stein.
Kritisieren die Lage im Ahrtal: (von links) Georg Fortner von der Pruttinger Heizungsfirma Franz Fischer und der Frasdorfer Sanitär- und Heizungsmeister Florian Stein. © Berndanner/privat(2)

Vor rund einem Jahr haben Handwerker aus der Region im Ahrtal geholfen. Der Kontakt zu den Menschen vor Ort ist nie abgerissen. Wie die Helfer die Lage im Ahrtal eineinhalb Jahre nach der Flutkatastrophe bewerten.

Frasdorf/Prutting - Mehr als 180 Tote und rund 800 Verletzte - Zahlen, die das Leid der Menschen im Ahrtal wohl kaum ausdrücken können. Viele haben Familienmitglieder und Freunde durch die Flutkatastrophe im Sommer 2021 verloren, Tausende ihr Zuhause. Freiwillige aus ganz Deutschland sind ins Ahrtal gereist, um den Opfern zu helfen - darunter auch Helfer aus Frasdorf und Prutting.

Wie in einem Rohbau

Eine Woche waren der Frasdorfer Heizungsspezialist Florian Stein und einige seiner Mitarbeiter vor Ort und haben Heizungen repariert. „Die Hauptgasleitung war zerstört“, erinnert sich Stein. Andere Helfer hatten sie vor der Ankunft der Frasdorfer Truppe instand gesetzt.

Mit seiner Hilfe setzt Sanitär- und Heizungsmeister Florian Stein( rechts) ein solidarisches Zeichen. Mit stein fuhren seine Mitarbeiter Andreas Bauer, Daniel Kink (von links). Frank Wershofen, Innungsobermeister der Sanitär- und Heizungstechnik- Innung im Ahrtal bedankt sich bei den Helfern. privat
Mit seiner Hilfe setzt Sanitär- und Heizungsmeister Florian Stein( rechts) ein solidarisches Zeichen. Mit Stein fuhren seine Mitarbeiter Andreas Bauer, Daniel Kink (von links). Frank Wershofen, Innungsobermeister der Sanitär- und Heizungstechnik- Innung im Ahrtal bedankt sich bei den Helfern. © privat

Stein und seine Kollegen hätten die Gasheizungen in den Häusern dann ausgetauscht, damit sie wieder ans Netz gehen konnten. Da sie einige Monate nach dem Hochwasser geholfen haben, habe das Team nicht viel von der Zerstörung mitbekommen. Stein zufolge hatten Freiwillige den Schlamm bereits beseitigt. Die Frasdorfer hätten nur in den Häusern gearbeitet. „Das war wie in einem Rohbau“, sagt Stein.

Während einer Ansprache bei dem Besuch im Ahrtal: (von links) Vorstandsmitglied SHK-Innung Rosenheim Florian Stein, ehemaliger Kreishandwerksmeister Bad Neuenahr-Ahrweiler, Obermeister SHK-Innung Rosenheim Gerhard Hardrath, Kreishandwerksmeister und Obermeister der SHK-Innung in Bad Neuenahr-Ahrweiler Frank Wershofen:
Während einer Ansprache bei dem Besuch im Ahrtal: (von links) Vorstandsmitglied SHK-Innung Rosenheim Florian Stein, ehemaliger Kreishandwerksmeister Bad Neuenahr-Ahrweiler, Obermeister SHK-Innung Rosenheim Gerhard Hardrath, Kreishandwerksmeister und Obermeister der SHK-Innung in Bad Neuenahr-Ahrweiler Frank Wershofen. © Mirjana Berndanner

Dem Sanitär- und Heizungsmeister ist eine Sache besonders in Erinnerung geblieben: „Wir wurden von unseren SHK-Kollegen vor Ort familiär empfangen, die Zusammenarbeit und der Kontakt mit den Geschädigten war überaus herzlich.“ Mit den Kollegen aus dem Ahrtal sei eine Freundschaft entstanden. Umso mehr bedauert Stein deshalb, dass die Lage eineinhalb Jahre nach der Katastrophe „relativ ernüchternd“ ist. Die Politik hätte keine Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau geschaffen. Die Regierung habe die Bürger vernachlässigt. Wenn es Geld gebe, komme das nur „sehr spärlich“ und spät an. Die Menschen hätten keine Perspektive und seien hoffnungslos.

Noch viel zu tun in den Dörfern

Anfang Oktober waren die Handwerker erneut einige Tage dort, um sich die Fortschritte anzusehen. Rund 30 Mitglieder der SHK-Innung Rosenheim haben Bad Neuenahr-Ahrweiler besucht. „Das war ein ganz ergreifendes Treffen“, sagt Stein. Die Kollegen aus der Region hätten Anteil genommen an dem Leid der Menschen im Katastrophengebiet. In Bad Neuenahr-Ahrweiler seien viele Häuser bereits renoviert und wieder aufgebaut. In den umliegenden Dörfern sei jedoch noch nicht viel passiert.

Der Wasserstand ist an Häusern in Altenahr auch eineinhalb Jahre nach der Katastrophe noch zu erkennen. Markierte Häuser sollen abgerissen werden.
Der Wasserstand ist an einigen Häusern in Altenahr auch eineinhalb Jahre nach der Katastrophe noch zu erkennen. Markierte Häuser sollen abgerissen werden. © Berndanner

„Es besteht ein absoluter Fachkräftemangel in vielen Handwerksberufen, in einem Katastrophengebiet natürlich noch viel mehr. Teils leben die Leute in Baustellen“, sagt Stein. Bei manchen Gebäuden ist laut Stein noch nicht einmal sicher, ob sie abgerissen werden. Häuser, die markiert seien - etwa mit einem Kreuz - werden dem Handwerker zufolge bei nächster Gelegenheit abgerissen.

Die Zerstörung nach dem Hochwasser im Ahrtal ist auch heute noch zu sehen.
Die Zerstörung nach dem Hochwasser im Ahrtal ist auch heute noch zu sehen. © Berndanner/Stein

„Den Bewohnern fehlt eine Perspektive, weil sie nicht wissen, wie ihre Zukunft aussehen soll“, sagt Stein. Viele wüssten nicht, ob und wann sie Ihr Heim wieder errichten können. Langwierige Bürokratie, finanzielle Hilflosigkeit, zu wenig Unterstützung aus der Politik und Versicherungen, die aufgrund fehlender Nachweise nicht zahlen - die Liste der Probleme der Betroffenen sei lang. Staatliche Hilfen gehen dem Frasdorfer zufolge ab, da in Deutschland das Gebot der Nachrangigkeit gilt: Wenn es eine Versicherung gibt, müsse diese greifen, erst dann helfe der Staat.

Viele Arbeiten noch nicht erfolgt

Laut Stein ist momentan alles wichtig, nur nicht die Hilfe im eigenen Land. Es sei richtig und wichtig, dass die Ukraine unterstützt wird, aber der Staat solle nicht die Leute im eigenen Land vergessen. „Es sieht immer noch aus wie in einem Katastrophengebiet, viele Arbeiten sind noch nicht erfolgt“, sagt der Heizungsmeister über die Orte Dernau, Rech, Mayschoß und Altenahr und fragt: „Warum geht es da nicht dementsprechend vorwärts, wie es in einem hoch entwickelten Land sein sollte?“

Bei dem Besuch vor Kurzem hat Stein mitbekommen, wie verheerend die Lage ist. Auch heute leben laut dem Frasdorfer viele Menschen im Ahrtal nur im ersten Stock oder höher. Wenn abends die Lichter angegangen sind, sei es in den ehemals überfluteten Erdgeschossen dunkel gewesen.

„Die Leute leben alle in Angst, dass so etwas wieder passiert“, bestätigt Georg Fortner von der Pruttinger Heizungsfirma Franz Fischer. Er selbst war das letzte Mal zu einem Helferfest im Ahrtal. Freiwillige von Firmen aus ganz Deutschland seien eingeladen gewesen: Oldenburg, Hamburg und eben auch Prutting.

Sind ins Flutgebiet Ahrtal gefahren, um Monteur Marcus Robrecht (links) zu helfen: (von rechts) Georg Fortner, Hubert Demmel und Michael Weber von der Pruttinger Heizungsfirma Franz Fischer.
Sind ins Flutgebiet Ahrtal gefahren, um Monteur Marcus Robrecht (links) zu helfen: (von rechts) Georg Fortner, Hubert Demmel und Michael Weber von der Pruttinger Heizungsfirma Franz Fischer. © privat

Fortners Chef Franz Fischer sei vor kurzer Zeit dort gewesen und habe von einer wenig veränderten Lage berichtet. „Es wird lange dauern, bis es wieder so ist, wie es einmal war“, sagt Fortner. Besonders mit der Auszahlung des Versicherungsgeldes hätten die Betroffenen noch Probleme. Der Prozess ziehe sich sehr lang. Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen - nicht nur von den Versicherungen. „Die Stimmung auf die Politik ist nicht sehr gut.

Unterstützung durch Tourismus

Doch Fortner konzentriert sich nicht nur auf die negativen Aspekte, sondern regt an, wie Bürger den Betroffenen Helfen können - etwa indem sie die schöne Region besuchen. Auch Stein sieht das Ahrtal mit seinen Weinbergen als eine der schönsten Ulraubsregionen Deutschlands. Der Tourismus sei ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Besucher könnten die Ahrtaler unterstützen, indem sie den Tourismus wieder ankurbeln, findet Fortner. „Damit wieder Leben reinkommt.“

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