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„Das stinkt zum Himmel“

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Von: Paula L. Trautmann

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Dieses Grundstück in Rohrdorf sorgt für Streit: (von oben) Alt-Bürgermeister Christian Praxl, Bürgermeister Simon Hausstetter und der Dritte Bürgermeister sind involviert.
Dieses Grundstück in Rohrdorf sorgt für Streit: (von oben) Alt-Bürgermeister Christian Praxl, Bürgermeister Simon Hausstetter und der Dritte Bürgermeister sind involviert. © Collage: Trautmann/DC-X/Thomae/re

In Rohrdorf streiten sich die Bürgermeister. Die Vorwürfe: Ein Grundstücksgeschäft mit „gewissen Zusagen“, Vorteilsnahme im Amt und ein Bürgermeister, der seine Zuständigkeit überschreitet. Sogar die Regierung von Oberbayern hat den Fall geprüft.

Rohrdorf – Die Angelegenheit ist kompliziert. Die meisten Vorwürfe können nicht bewiesen werden. Die Wortwahl ist grob. Alt-Bürgermeister Christian Praxl (CSU) spricht von einer „Schweinerei“, Machenschaften unter „Parteispezln“ und der Gemeinde als „Selbstbedienungsladen“. Bürgermeister Simon Hausstetter (Bürgerblock Rohrdorf) bezeichnet die Vorwürfe seines Vorgängers als „grotesk“. Ob der Artikel auf der Kulturseite der Zeitung als Satire erscheinen werde, fragt Hausstetter. Der Dritte Bürgermeister Martin Fischbacher (Bürgerblock Rohrdorf) spricht von „falschen und unwahren Behauptungen“.

Zwei Grundstücke im Streit-Mittelpunkt

Was hat die Gemüter so erhitzt? Am 9. August 2021 hatte Martin Fischbacher zwei Grundstücke von einem Landwirt gekauft - Flurnummer 475 und 475/6. Das erste Grundstück ist im Bebauungsplan als Grünfläche für die Erhaltung von Bäumen und Sträuchern ausgewiesen - „mit besonderer Bedeutung für Ökologie und Landschaftsbild“. Das zweite Grundstück ist nicht in dem Bebauungsplan, aber in einem bebauten Ortsteil. Zwischen den beiden Flächen liegt Christian Praxls Grund.

Christian Praxls erster Vorwurf

Woran sich der Alt-Bürgermeister stört: Am 20. August 2021 hat Hausstetter seinem vermeintlichen „Parteispezl“ Fischbacher das Negativzeugnis über den Verzicht der Gemeinde auf das Vorkaufsrecht ohne einen Gemeinderatsbeschluss ausgestellt. Wird ein Grundstück verkauft, hat eine Gemeinde dem Baugesetzbuch zufolge in bestimmten Fällen ein Vorkaufsrecht. Die Gemeinde kann eine Fläche kaufen, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Allerdings muss der Gemeinderat den Erwerb oder den Verzicht auf das Vorkaufsrecht beschließen. Bürgermeister Hausstetter hat das sogenannte Negativzeugnis über den Verzicht ohne einen Beschluss des Gemeinderats ausgestellt.

Alt-Bürgermeister Praxl hat sich deshalb beim Rosenheimer Landratsamt beschwert. Der Mail-Verkehr liegt der Redaktion vor. Eine Mitarbeiterin hat Praxl bestätigt, dass der Bürgermeister Negativzeugnisse nicht selbstständig erteilen könne, sondern ein Gemeinderatsbeschluss nötig sei. Das Landratsamt bat Bürgermeister Hausstetter deshalb um eine Stellungnahme. Hausstetter teilte dem Landratsamt mit, dass ihm die Notwendigkeit eines Beschlusses nicht bekannt gewesen sei. Auch in der Vergangenheit habe der Gemeinderat keine Beschlüsse über die Ausübung des Vorkaufsrechts gefasst. Simon Hausstetter wollte sich gegenüber den OVB-Heimatzeitungen nicht dazu äußern, für wie viele Grundstücksverkäufe er Negativzeugnisse ohne die Zustimmung des Gemeinderates ausgestellt hat.

Gemeinderat lehnt Vorkaufsrecht ab

Nach dem Hinweis des Landratsamtes hat der Gemeinderat den Beschluss am 24. März 2022 nachgeholt. Die Mitglieder haben die Ausübung des Vorkaufsrechts abgelehnt - mit neun Ja-Stimmen und neun Nein-Stimmen. Dass der Beschluss mit Stimmengleichheit abgelehnt worden ist, stört Praxl besonders: „Bei der angespannten Grundstückssituation, das ist wirklich eine Schweinerei und stinkt zum Himmel.“ Doch für das Landratsamt war die Angelegenheit damit abgeschlossen.

Beschwerde an die Regierung von Oberbayern

Praxl hat keine Ruhe gegeben und eine Beschwerde an die Regierung von Oberbayern verfasst. Der Ausschuss für Kommunale Fragen hat über die Beschwerde beraten und festgehalten, dass Bürgermeister Hausstetter „seine Zuständigkeit überschritten“ hat. Das geht aus dem Sitzungsprotokoll hervor. Weil der Beschluss im Nachhinein erteilt wurde, sei der Verstoß aber „geheilt“.

Zweiter Vorwurf: Vermeintliche Zusagen

Dieser Verstoß ist nicht Praxls einziger Vorwurf. Der Alt-Bürgermeister vermutet auch, dass „gewisse Zusagen“ gemacht wurden. Denn die Gemeinde habe ein neues Baugebiet an der Preysing-/Falkensteinstraße für den Landwirt ausgewiesen. Laut dem Sitzungsprotokoll des Landtagsausschusses hat Bürgermeister Hausstetter angegeben, dass in dieser Sache kein Zusammenhang besteht. „Den Vorwurf, seine Dienstpflicht wissentlich und willentlich verletzt zu haben und eine Begünstigung des Dritten Bürgermeisters angestrebt zu haben, wies er zurück“, heißt es weiter. Beweise über Zusagen an den Landwirt gibt es nicht.

Praxl hat noch einen dritten Verdacht: Vorteilsnahme im Amt. Der Dritte Bürgermeister Fischbacher habe in der Gemeinderatssitzung am 16. Dezember 2021 den Antrag gestellt, das Grundstück 475 mit der Grünfläche als Bauland auszuweisen. Ein Quadratmeter Bauland kostet verschiedenen Immobilienportalen zufolge im Schnitt 1000 Euro in Rohrdorf, Grünland hingegen rund elf Euro. Eine Grünfläche in Bauland umzuwandeln, ist also äußerst lukrativ. „Allein der Versuch hat meiner Ansicht nach ein Gschmäckle, aber offensichtlich betrachten die gewählten Volksvertreter die Gemeinde als Selbstbedienungsladen“, sagt Praxl. Der Gemeinderat hat den Antrag abgelehnt.

Gemeinderat lehnt Umwandlung ab

Daraufhin hat Fischbacher beide Grundstücke am 15. Februar 2022 an ein Bauunternehmen verkauft. Die Bauträger haben am 24. Februar ebenfalls eine Änderung des Bebauungsplans beantragt. Ein Doppelhaus und zwei Garagen sollten auf die Grünfläche. Der Gemeinderat hat den Antrag mit einer Ja-Stimme und 17 Nein-Stimmen abgelehnt.

Laut Sitzungsprotoll des Landtagsausschusses erhöht sich der Kaufpreis, wenn innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss ein Bebauungsplan in Kraft tritt, der eine Bebauung zulässt. Es gebe keine Anhaltspunkte zum Vorwurf der Vorteilsnahme im Amt, heißt es im Protokoll. Hinweise, dass Fischbacher versucht haben könnte, das Abstimmungsverhalten des Gemeinderats zu beeinflussen, gebe es auch nicht. An den Abstimmungen habe er aufgrund persönlicher Beteiligung nicht teilgenommen.

Fischbacher sieht kein Fehlverhalten

Der Dritte Bürgermeister Martin Fischbacher verteidigt sich gegen Praxls Vorwürfe. Mit den „falschen und unwahren Behauptungen“ habe sich bereits die Regierung von Oberbayern und die Gemeindeaufsicht des Landratsamtes beschäftigt. „Weder Bürgermeister Hausstetter noch ich haben uns was zu Schulden kommen lassen“, teilt Fischbacher per Mail mit. Es sei kein Fehlverhalten festgestellt worden.

Anderer Meinung ist der Landtagsausschuss: Er hat festgehalten, dass Bürgermeister Hausstetter seine Zuständigkeit überschritten hat. Der Landtagsabgeordnete Johannes Becher (Grüne) beanstandete zudem, dass das Abstimmungsergebnis mit Stimmengleichheit „denkbar knapp“ ausgefallen sei. Das Verfahren sei „sicherlich nicht optimal gelaufen“.

Hat der Alt-Bürgmeister auch Fehler gemacht?

Ganz werden sich die Vorwürfe nicht klären lassen – so wie seinerseits Praxls Amtsgebaren. Hausstetter wirft Praxl ebenfalls Fehlverhalten vor: „In der letzten Legislaturperiode (2014-2020) und vermutlich auch vorher wurde unter Bürgermeister Christian Praxl keine einzige Vorkaufsrechtsangelegenheit im Bauausschuss oder im Gemeinderat behandelt, sondern stets auf dem Verwaltungsweg erledigt.“

Praxl ohne Erinnerung

Dass der Alt-Bürgermeister nun auf Versäumnisse hinweist, nennt Hausstetter „grotesk“. Selbst das Negativzeugnis für einen Grundstückskauf seines Sohnes habe Praxl – trotz vermutlich bestehenden Vorkaufsrechts der Gemeinde – ohne Behandlung im Gemeinderat oder Bauausschuss unterzeichnet. Praxl entgegnet: „Wer das Negativattest unterzeichnet hat, ist mir nicht mehr in Erinnerung.“

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