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Kommt der Krankenwagen bald nicht mehr? So überlastet ist der Rettungsdienst in Rosenheim

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Von: Julian Baumeister

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Immer mehr Menschen rufen auch bei harmloseren Beschwerden die Notrufnummer 112. Das belastet die Notfallversorgung der Rettungsdienste (Symbolbild).
Immer mehr Menschen rufen auch bei harmlosen Beschwerden die Notrufnummer 112. Das belastet die Notfallversorgung der Rettungsdienste in Rosenheim (Symbolbild). © Montage: dpa/picture alliance/Nicolas Armer/Hannes P Albert

Herzinfarkt, Schlaganfall oder Verkehrsunfall - da zählt jede Sekunde. Doch die Wartezeit auf den Krankenwagen kann derzeit schon mal länger ausfallen. Denn die Rettungsdienste sind überlastet - unter anderem aufgrund von unnötigen Notrufen. Das hat Folgen für Notfallpatienten in Rosenheim.

Rosenheim - Die Lebensretter sind in Not. Deutschlandweit haben Rettungsdienste mit Personalsorgen und zunehmenden Einsätzen zu kämpfen. Das geht unter anderem aus dem „Rettungsdienstbericht Bayern 2022“ hervor. Die Ursachen sind für viele Rettungs- und Notfallsanitäter klar: Unter den Notrufen sind immer mehr Anrufer, die nicht zwingend einen Krankenwagen benötigen sowie die ausgelasteten Krankenhäuser.

Über zwei Millionen Einsätze in Bayern

Für Thomas Neugebauer, stellvertretender Kreisgeschäftsführer und Bereichsleiter Rettungsdienst des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) Rosenheim, sei diese Entwicklung dramatisch. „Wir fahren derzeit viele Einsätze, die keine Notfälle sind und eigentlich für den Hausarzt oder den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst bestimmt sind. Da braucht es nicht das große Auto“, sagt Neugebauer.

Laut dem Landesverband des BRK sind die Einsätze, die keine Notfälle waren, im vergangenen Jahr um rund 25 Prozent gestiegen - bei insgesamt rund zwei Millionen Einsätzen ein Plus von 35.440 unnötigen Alarmierungen. Im Rosenheimer Stadtgebiet mussten die Lebensretter 2022 zu 8569 Notfalleinsätzen ausrücken, wie ein Sprecher der Stadt, welche die Integrierte Leitstelle (ILS) betreibt, bestätigt.

300 Notrufe in Rosenheim am Tag

Dies sei ein Anstieg um 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Täglich erreichen die Leitstelle im Durschnitt 300 Notrufe“, so der Sprecher weiter. Wie viele davon zu den sogenannten Bagatellfällen wie zum Beispiel Kopfschmerzen, Prellungen oder chronischen Rückenschmerzen gehören, wisse man nicht, da die medizinischen Befunde der Leitstelle nicht vorliegen.

Zudem sei die Beurteilung eines Notfall auch immer subjektiv. „Was für den einen in der Wahrnehmung harmlos erscheint, kann für den anderen zum Beispiel im Schockzustand gravierend sein“, heißt es vonseiten der Leitstelle. Deshalb sei es auch nicht möglich, genau zu sagen, warum mehr Menschen den Notruf wählen.

Allerdings falle auf, dass vereinzelte Anrufer der Notrufnummer 112 bei der Beschreibung ihres Notfalls hochstapeln, damit der Krankenwagen sicher und schneller kommt, berichtet Neugebauer. „Da haben wir ja trotzdem keine andere Wahl, als einen Rettungswagen hinzuschicken“, sagt der Bereichsleiter.

Das habe zur Folge, dass dieser Krankenwagen jedoch für einen anderen Notfall nicht zur Verfügung steht. „Den wirklichen Notruf können wir dann unter Umständen nicht sofort bedienen, wenn alle anderen Fahrzeuge in der Nähe auch belegt sind“, sagt Neugebauer.

19 Rettungswagen im Einsatz

Für den Versorgungsbereich der Rettungswache Rosenheim stünden 19 Rettungswagen zur Verfügung, wie Dr. Michael Städtler, Ärztlicher Leiter des Zweckverbands für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierungen Rosenheim (ZFR), auf OVB-Anfrage mitteilt. Der Verband ist ein Zusammenschluss aller Rettungsdienste in Stadt und Landkreis Rosenheim sowie des Landkreises Miesbach.

In Spitzenzeiten komme es aufgrund der hohen Auslastung auch öfters dazu, dass weiter entfernte Krankenwagen hinzugezogen werden müssen. Der Nachteil daran: „Der Anfahrtsweg ist deutlich länger und das kostet wertvolle Zeit“, so Neugebauer.

Grundsätzlich sollen Rettungskräfte in Bayern innerhalb von zwölf Minuten nach dem Ausrücken am Einsatzort sein. Die sogenannte Hilfsfrist ist im Rettungsdienstgesetz Bayern (BayRDG) geregelt. „In unserem Versorgungsbereich wurden 2021 zwischen 90 und 95 Prozent aller Notfälle rechtzeitig erreicht, 80 Prozent sind gefordert“, erklärt Städtler. Eine Auswertung für 2022 liege noch nicht vor.

Auch die Kliniken sind am Limit

Trotz dieser Zahlen, gebe es für die Rettungsdienste Neugebauer zufolge ein weiteres Problem: Wohin mit den Patienten? Denn auch die Kliniken könnten inzwischen nicht alle Notfälle aufnehmen. Der Grund ist der gleiche: „Bis zu einem Viertel der Patienten in der Notaufnahme, die mit Rettungsdienst kommen oder sich selbst einweisen, könnten auch von einem niedergelassenen Arzt versorgt werden“, sagt Elisabeth Siebeneicher, Pressesprecherin der Romed-Kliniken. Das führe dazu, dass zwischenzeitlich alle Behandlungszimmer belegt seien und sich die Klinik bei der Leitstelle abmelden müsse.

Obwohl die Pressesprecherin versichert, dass die Aufnahmebereitschaft bei schwerwiegenden Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlagfanfall in Rosenheim immer bestehe, komme es vor, dass hin und wieder ein Patient im Krankenwagen vor der Notaufnahme behandelt werden muss. „Das ist Stress für alle Beteiligten, vor allem, wenn man einen intensivmedizinischen Patienten beispielsweise in der Nacht nicht losbekommt“, sagt Neugebauer und weiter: „Die Einsätze bei Lappalien strapazieren die ganze medizinische Versorgung.“

Beruhigende Personalsituation

Neugebauer sei daher froh, dass es beim BRK in Rosenheim genügend Personal gebe. „Bei 186 Mitarbeiter allein im Rettungsdienst kann man sich nicht beschweren“, sagt er. Die andere gute Nachricht: In der Region gab es wenige bis gar keine Attacken auf Sanitäter. „Es ist nichts passiert, das muss man schon mal loben.“ Loben will Neugebauer auch die funktionierende Rettungskette in Rosenheim. „Durch die Zusammenarbeit unseres Zweckverband geht das trotz der Probleme immer noch gut“, sagt er. „Welches Verbandszeichen am Ende am Einsatzort auf dem Krankenwagen steht, ist egal, solange einer da ist.“

Welche Notrufnummer wähle ich wann? Das empfehlen die Rettungsdienste:

112: Die europaweite Notrufnummer soll wenn möglich nur bei akuten oder lebensbedrohlichen Symptomen gewählt werden. Dazu zählen zum Beispiel Anzeichen für einen Herzinfarkt, Schlaganfall, starken Schmerzen, Bewusstlosigkeit, schwere Verletzungen oder auch Anfälle. Die Leitstelle entscheidet über die Dringlichkeit des Notfalls. Es ist ein Irrglaube, dass die Behandlung im Krankenhaus durch die Einlieferung mit dem Rettungswagen schneller erfolgt. Dort wird ebenfalls nach Dringlichkeit entschieden.

116 117: Die bundesweite Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienst - oder auch Notdienst genannt - ist bei dringenden aber nicht akuten Beschwerden zu wählen. Zum Beispiel bei Erkältungskrankheiten, grippalen Infekten mit Fieber und Schmerzen und Magen-Darm Infekten. Die Anrufzentrale vermittelt dann eine Bereitschaftspraxis in der Nähe. Falls die Nummer belegt sein sollte, appellieren die Rettungsdienste zur Geduld. Jeder Anruf werde spätestens nach ein paar Minuten angenommen.

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