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Schicksalstag 4. Februar: Wie der Bad Aiblinger Josef Weber überlebte und doch starb

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Von: Norbert Kotter

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Das Sterbebild von Josef Weber erinnert an das Lawinenunglück in Gerlos am 4. Februar 1973.
Das Sterbebild von Josef Weber erinnert an das Lawinenunglück in Gerlos am 4. Februar 1973. © Hadersbeck

Gibt es für ein Menschenleben ein Schicksal oder ist alles nur Zufall? Wer die Geschichte von Josef Weber aus Bad Aibling hört, stellt sich diese Frage unwillkürlich. Bei Weber entschied der 4. Februar zweimal über Leben und Tod.

Bad Aibling/Gerlos - Josef Weber aus Bad Aibling war einer der beiden Schwerverletzten, die zu den Überlenden des Lawinendramas am 4. Februar 1973 in Gerlos zählten. Zehn Tourengeher starben. Für seine Familie gab es einen besonderen Grund, auf seinem Sterbebild nochmals an die Tragödie zu erinnern.

„Am Jahrestag vom Lawinenunglück in Gerlos.“ Ein Hinweis, der die große Bedeutung in wenigen Worten beschreibt, die der 4. Februar im Leben des ehemaligen Bankangestellten hatte. Es war der 4. Februar, an dem ihm in den Tiroler Bergen ein zweites Leben geschenkt wurde. Es war der 4. Februar 2015, an dem der 1929 geborene ehemalige Bankangestellte für immer seine Augen schloss. „Gott hat alles recht gemacht“, steht über dem Motiv eines Gebirgsbachs, der zusammen mit einem Kreuz die Rückseite des Sterbebildes ziert. Die Symbiose, die sein Glaube und die Liebe zur Natur in seinem Leben bildeten, könnte nicht besser zum Ausdruck gebracht werden.

Brief an den Leiter der Lawinenhundestaffel

Wie knapp er dem Ende bei dem Drama in den Tiroler Alpen entging, wird aus seinem Erlebnisbericht deutlich, den er am 9. Februar 1973 nach seiner Entlassung aus dem Tiroler Landeskrankenhaus in Innsbruck mit Schreibmaschine verfasst hat - auf Bitte von Karl Dilitz, der damals als Leiter der Lawinenhundestaffel Innsbruck am Ort der Tragödie im Einsatz war. Weber schickte mit dem Bericht noch ein Schreiben an Dilitz, in dem er sich herzlich „für meine glückliche Rettung“ bedankte. Dass er es nicht bei Worten beließ, geht aus dem Brief ebenfalls hervor. „Erlauben Sie mir bitte, eine kleine Spende für Ihre braven Hunde beizufügen.“

Ein Beleg für all das, was die Bergretter als richtiges Verhalten bei Lawinenabgängen immer predigen

Karl Dilitz, damals Leiter der Lawinenhundestaffel Innsbruck

Dilitz bedankte sich wenige Tage später schriftlich bei Weber für das Geld und ließ ihn wissen, die Bergretter würden es für die Abhaltung eines Lawinenhundekurses in Lüsens verwenden. Von den Schilderungen des Bad Aiblingers zeigte sich der Hundeführer beeindruckt. Sein Bericht sei „ein Beleg für all das, was die Bergretter als richtiges Verhalten bei Lawinenabgängen immer predigen“. - „Nicht die Nerven verlieren, Schwimmbewegungen machen, und die Atemwege schützen.“

Die Kirchspitze (auf unserem Bild die erste Bergspitze von rechts) bei Gerlos war das Ziel der Tourengeher. Ganz rechts im Bild ist das Tal zu sehen, in das die Lawine abging.
Die Kirchspitze (auf unserem Bild die erste Bergspitze von rechts) bei Gerlos war das Ziel der Tourengeher. Ganz rechts im Bild ist das Tal zu sehen, in das die Lawine abging. © Hubert Stöckl

Welch dramatische Szenen sich in den Zillertaler Alpen abgespielt haben müssen, geht aus Webers Schilderungen hervor. Er schreibt unter anderem an Dilitz. „Plötzlich schreit einer der Ersten ‚Obacht, Lawine!‘. Ich sehe eine circa drei Meter hohe Wand auf mich zukommen. Ich bin gefasst, hole ganz tief Luft und erwarte mit äußerster Kraftanstrengung den Anprall. Es war ein furchtbarer Schlag. Nun geht es doch mit mir dahin. Mit immer noch angehaltenem Atem halte ich mir die linke Hand vor den Mund, mit dem rechten Arm mache ich Schwimmbewegungen und versuche, oben zu bleiben. Auf einmal merke ich, dass ich nach links absacke und bekomme einen Schlag an der rechten Kopfseite.

Ich bete, denke an meine Familie.

Josef Weber in seinen Aufzeichnungen

Jetzt geht es, mir unendlich erscheinend, abwärts. Endlich wird es langsamer, und die Lawine bleibt stehen. Über mir sehe ich einen hellen Schimmer. Gott sei Dank! Immer wieder versuche ich, mit einer Hand ins Freie zu gelangen, bin aber so fest im Schnee eingepresst, dass es mir unmöglich ist, einen Arm zu bewegen. Lediglich die Finger und die Zehen (im Schuh) kann ich rühren. Ich bete, denke an meine Familie. In der Hoffnung, gefunden zu werden, verliere ich das Bewusstsein“, hält der damals 42-Jährige fest.

Stark unerkühlt aufgefunden

Von seiner Rettung bekommt er nichts mit. Sebastian Dengler, der als Spurenleger der Gruppe vorausging, hat Webers Auffinden noch vor dem Eintreffen der Rettungskräfte in seinen Erinnerungen festgehalten. „Der Erste, welcher gefunden wurde, war Sepp Weber. Er lebte, war aber stark unterkühlt. Wenige Meter oberhalb von Weber fanden wir Helmut Maier (Anmerkung der Redaktion: Er war der Tourenleiter). Tot. Ich nahm seinen Pullover und andere Kleidungsstücke, um sie Weber unterzuschieben, der, am Oberkörper nur mit dem Hemd bekleidet, im Schnee lag. Mit blanken Händen versuchte ich, seinen Puls zu wärmen.“

Erst in der Klinik wieder aufgewacht

Weber wacht erst wieder in der Klinik in Innsbruck auf - mit „einem wohlig warmen Gefühl“, wie er berichtet. Nach vier Tagen darf der Bad Aiblinger das Krankenhaus verlassen. Im Arztbericht ist vermerkt, dass der Patient bei seiner Aufnahme unterkühlt war sowie eine Gehirnerschütterung und mehrere Rissquetschwunden im Gesicht hatte. Außerdem diagnostizierten die Ärzte bei dem Tourengeher Verletzungen der rechten Schulter, des rechten Unterarms sowie des rechten Handgelenks.

Mit den Armen das Gesicht geschützt

Webers Schilderungen ähneln in weiten Teilen den Erinnerungen eines weiteren Überlebenden, der sich laut DAV-Sektion Bad Aibling heute nicht mehr zum dem Unglück äußern will. „Es ist ein Wunder, dass ich nicht auch im Sarg liege. Ich hatte tausend Schutzengel“, sagte er kurz nach dem Unglück einem Reporter der „Bunten‘“. Journalisten der Illustrierten haben mit ihm im Schwazer Krankenhaus gesprochen, in das er mit einem Schulterbruch und Abschürfungen eingeliefert worden war. Der Mann konnte sich selbst aus der Lawine befreien. Als er die Schneewalze Richtung Tal donnern sah, ging er nach eigenen Angaben in die Hocke und schützte mit den Armen sein Gesicht. Er wurde von den Schneemassen mitgerissen, begraben und wieder hochgetragen.

Dr. Marianne Weber-Keller verwahrt zusammen mit ihrer Schwester Ursula im Familienarchiv noch alle Unterlagen, die ihr Vater über das Lawinendrama gesammelt hat.
Dr. Marianne Weber-Keller verwahrt zusammen mit ihrer Schwester Ursula im Familienarchiv noch alle Unterlagen, die ihr Vater über das Lawinendrama gesammelt hat. © Hadersbeck

Dass Webers persönliche Erinnerungen, sein Schriftverkehr im Zusammenhang mit dem Lawinenunglück und eine umfangreiche Sammlung von Presseberichten über die Tragödie im Zillertal heute noch erhalten sind, ist der Tatsache zu verdanken, dass all das nach seinem Tod als wichtiger Bestandteil des Familienarchivs aufbewahrt wurde. Seine in Bad Aibling lebende zweitälteste Tochter Dr. Marianne Weber-Keller und ihre Schwester Ursula Weber, eine heute in Münster lebende Psychologin, haben auf alle Unterlagen jederzeit digital Zugriff. „Die Verwaltung des von unserer Mutter angelegten Archivs ist Ursula ein großes Anliegen“, weiß ihre Schwester.

Ursula Weber freut sich, „dass die Geschichte des Unglücks nicht vergessen ist“ und von den OVB-Heimatzeitungen in einer Serie nacherzählt wird. „Für mich als damals elfjähriges Kind war es eine Zäsur im Leben. Der 4. Februar war jedes Jahr Papas zweiter Geburtstag, der auch immer begangen wurde.“, sagt sie.  

Marianne Weber-Keller besuchte zum Zeitpunkt des Unglücks die achte Klasse des Finsterwalder-Gymnasiums in Rosenheim. Am Unglückstag befand sie sich mit ihren Klassenkameraden in einem Skilager der Schule in Tulfes in Tirol. Sie sei damals abends von der Betreiberin der Pension, in der die Schülerinnen und Schüler untergebracht waren, ans Telefon gerufen worden. „Da war meine Mutter dran, hat mir von dem Unglück erzählt und gesagt, dass der Vater lebt“, erinnert sich die promovierte Germanistin. Erst durch dieses Telefonat habe sie von dem schrecklichen Geschehen erfahren.

Mein Vater hat bis ins hohe Alter Skitouren gemacht

Dr. Marianne Weber-Keller, Tochter von Josef Weber

Allzu oft sei in den Jahren danach innerhalb der Familie nicht mehr über das Lawinenunglück gesprochen worden. „Aber mein Vater hat bis ins hohe Alter Skitouren gemacht“, erzählt Weber-Keller. Mit einigen Teilnehmern aus der Tourengeher-Gruppe von einst sei er außerdem noch viele Jahre nach dem Drama am 4. Februar regelmäßig nach Gerlos gefahren. Gleichsam ein Stück Erinnerungskultur, die auch dazu beitrug, die Ereignisse zu verarbeiten.

Hilfreiche Gespräche mit Pfarrer Hans Holzner

Hierbei erwiesen sich auch viele Gespräche als hilfreich, die er mit Pfarrer Hans Holzner führte - ein Freund der Familie. Die Frage, die dabei immer wieder im Mittelpunkt steht: Wie konnte das passieren? Eine abschließende Erklärung fanden die beiden nicht, doch eines weiß Marianne Weber-Keller ganz sicher. „Von meinem Vater kam nie ein Schuldvorwurf.“

Noble Geste von Ernst Hackhofer

Nie vergessen hat Josef Weber eine noble Geste von Ernst Hackhofer, der damals ein Sportgeschäft und eine Schusterei in der Bad Aiblinger Kirchzeile betrieb. Er spendierte den Überlebenden der Katastrophe jeweils eine neue Skiausrüstung. Das Unglück wurde dadurch nicht ungeschehen gemacht, diese Hilfe konnte auch die durch die Lawine verursachten seelischen Wunden nicht heilen, dennoch: Hackhofers Geste war eines der vielen Zeichen von Anteilnahme und Verbundenheit, die die Familien der Verstorbenen und die Überlebenden nach der Katastrophe in Gerlos erfuhren. Ein Ereignis, dessen schreckliche Folgen noch heute fest in den Köpfen vieler Bad Aiblinger verankert sind.

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