Machtfrage und Sexualmoral in der Kirche
„Zölibat aufheben“: Bruckmühler Pastoralreferent spricht Tacheles
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Bruckmühl – Viele Opfer, viele Fehler und viel Leid – das Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München und Freising beherrscht die Schlagzeilen und beschäftigt den Bruckmühler Pastoralreferenten Markus Brunnhuber. Ein Gespräch über den Skandal, Generalverdacht, Kirchenaustritte, die Abschaffung des Zölibats und was sich ändern muss.
Wie ging es Ihnen nach der Veröffentlichung des Gutachtens?
Markus Brunnhuber: Ich war erschüttert. Die Opfer und der christliche Grundsatz, Schwache und Benachteiligte zu schützen, wurden viel zu wenig beachtet. Das tut weh und ist fatal für den karitativen Auftrag der Kirche. Wir müssen den Opfern jetzt zuhören und ihr Leid anerkennen. Nur dann kann Heilung beginnen, trotzdem wird das sehr lange dauern. Dass eine Institution ein so umfangreiches Gutachten in Auftrag gibt – wohl wissend, dass sich die Auftraggeber damit selbst belasten – ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Stehen Sie jetzt unter Generalverdacht?
Brunnhuber: Vor allem Kirchenaußenstehende sagen, Priester vergehen sich an Kindern. Sie differenzieren nicht mehr. Das ist natürlich verständlich, aber bevor man etwas endgültig ablehnt, sollte man genau hinsehen. Die Kirche hat schlimme Fehler gemacht. Aber unter den Millionen Kontakten, die in Pfarrgemeinden stattfinden, ist die Mehrheit positiv oder hilfreich.
Verstehen Sie dennoch, dass viele Menschen aus der Kirche austreten?
Brunnhuber: Ja, weil wir Glaubwürdigkeit verloren haben. Wir müssen jetzt hart arbeiten, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wir sind auf einem guten Weg, weltweit verändert sich etwas. Der Papst hat jedem Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen aufgetragen, in ihren Herkunftsländern über das Thema aufzuklären. So werden auch Menschen in afrikanischen und arabischen Ländern sensibilisiert, in denen Missbrauch bisher totgeschwiegen wurde.
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Und in Bruckmühl?
Brunnhuber: Wie alle Seelsorger in der Diözese wurden wir erneut sensibilisiert und schon früher mehrere Tage professionell geschult. Wir müssen auf Zeichen achten, etwa wenn Menschen nicht gewöhnlich reagieren. Ich kläre die Erstkommunion-Gruppenleiter über sexuellen Missbrauch auf. Es ist wichtig, jeden Verdacht ernst zu nehmen. Gibt es einen Fall, müssen wir handeln. Wir haben eine Anlaufstelle für sexuellen Missbrauch und Missbrauchsverdachtsfälle. An die kann sich jeder wenden. Es gibt nun auch eine Hotline der Erzdiözese für Betroffene.
Was muss sich ändern?
Brunnhuber: Die Machtfrage. Diverse Studien haben bewiesen, dass die Hierarchie in der Kirche Missbrauch gefördert hat. Wir haben eine monarchische Hierarchie, in der die Pfarrer und der Papst nahezu unantastbar waren. Diese Strukturen brechen wir nun auf. Durch Gremien wie den Pfarrgemeinderat und die Kirchenverwaltung haben wir damit vor 50 Jahren begonnen und vertiefen das nun durch den Synodalen Weg. Laienvertreter und Bischöfe beschäftigen sich gleichberechtigt mit den Zukunftsfragen der Kirche.
Mit welchen Fragen?
Brunnhuber: Zur Sexualmoral der Kirche. Mit der Aktion #OutInChurch haben sich katholische Kirchenmitarbeitende als queer geoutet und damit ihren Job riskiert. Das hat das Ergebnis der dritten Synodalversammlung zur Erneuerung der katholischen Kirche vergangene Woche beeinflusst und Kirchengeschichte geschrieben. Die Mehrheit der Bischöfe und Laienvertreter hat verlangt, die Diskriminierung homosexueller Mitarbeiter zu beenden. Frauen sollen auch in kirchlichen Ämtern zugelassen und der Pflichtzölibat soll aufgehoben werden. So ein starkes Votum hat es bisher noch nicht gegeben.
Warum sind Sie für die Aufhebung des Pflichtzölibats?
Brunnhuber: Ich halte es für wichtig und angemessen, weil die Berufung zur Ehelosigkeit und die Berufung zum Priesteramt zwei unterschiedliche Dinge sind. Kirchengeschichtlich wurden sie vor 1000 Jahren vereinigt, müssen aber nicht zwingend gekoppelt bleiben. Jetzt ist die Zeit, das zu ändern.
Warum führte die Kirche den Zölibat ein?
Brunnhuber: Die Priester sollten sich auf Gott konzentrieren. Dann hat man festgestellt, dass sie einsam sind, wenn sie nicht gut damit umgehen können. Klöster helfen in diesem Fall, sind aber nicht für alle Priester die passende Lebensform.
Aber Sie dürfen eine Familie haben?
Brunnhuber: Ja, Pastoralreferenten haben die gleiche Ausbildung wie Priester, aber keine Priesterweihe. Daher dürfen wir keine Sakramente spenden, aber verheiratet sein. Der familiäre Alltag hilft mir, sensibler in der Seelsorge zu sein. Meine Frau oder meine drei Kinder geben mir ganz anders Rückmeldung als meine Kollegen. Das erdet mich.
Hotline für Betroffene
Die Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese München und Freising ist montags bis samstags von 9 bis 20 Uhr besetzt und unter der Nummer 089/2 13 77 70 00 erreichbar.