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Mit nahezu CO2-freiem Wohnen im 21. Jahrhundert angekommen

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Die großen Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf dem Dach, dem Carport und an der Fassade erzeugen die Energie für Wärme, Strom und ein Elektroauto bilanziell CO2-frei, und auch real kommt Familie Hövel nahe an die 100 Prozent CO2-freie Energieversorgung. © Sonnenhaus-Institut/Markus Aichhorn

Prien am Chiemsee - Simone und Michael Hövel haben in Prien am Chiemsee ein Haus gebaut, das real und nicht nur bilanziell zu fast 100 Prozent CO2-frei mit Solarenergie für Wärme, Strom und Mobilität versorgt wird. Die EU-Gebäuderichtlinie für Niedrigstenergiehäuser haben sie konsequenter umgesetzt, als es in Deutschland voraussichtlich verlangt wird.

Mit elf Jahren hat Michael Hövel einen Beschluss gefasst: Wenn ich mal baue, soll mein Haus autark sein! Zu der Zeit, Anfang der 1980er Jahre, hat der heute 46-Jährige in der Zeitschrift GEO einen Artikel über das erste energieautarke Haus der Welt gelesen. In den 1950er Jahren als Forschungsprojekt in Massachusetts gebaut, hat es den Jugendlichen fasziniert. In der Zwischenzeit hat Hövel Maschinenbau studiert und als Kraftwerksingenieur bei namhaften Unternehmen gearbeitet, er hat geheiratet und ist Vater von zwei Kindern geworden. In dieser Zeit hat sich aber auch der Klimawandel verschärft und das EU-Parlament hat eine Gebäuderichtlinie erlassen, nach der künftig nur noch Fast-Null-EnergieHäuser gebaut werden sollen. All das spielte zusammen, als Michael Hövel und seine Frau Simone 2016 begannen, ihr eigenes Heim zu planen. Der alte Kindheitstraum war jetzt mehr als zeitgemäß und Hövel beschloss, ein Haus ganz im Sinne des Klimaschutzes, der größtmöglichen CO2-Vermeidung und maximaler Unabhängigkeit zu bauen. Ihre Entscheidung fiel auf ein Sonnenhaus, das sie seit 2018 bewohnen. Mit den großen Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an der Fassade erzeugen sie die Energie für Wärme, Strom und ein Elektroauto bilanziell CO2-frei, und auch real kommen sie nahe an die 100 Prozent CO2-freie Energieversorgung.

In seinem Beruf ist Hövel zunächst zum Experten für Gasturbinen geworden. Dafür ist er um die Welt gereist und hat für einen führenden Kraftwerksbauer viele Jahre in der Schweiz gearbeitet. Und auch wenn er sich im Studium und später im Beruf mit Kohle, Gas und Atomenergie beschäftigt hat, die erneuerbaren Energien hat er nie aus dem Blick verloren. So erfuhr er auch, dass 2004 das Sonnenhaus-Institut e.V. gegründet wurde.

Die Familie Hövel vor ihrem Niedrichstenergiehaus in Prien.
Die Familie Hövel vor ihrem Niedrichstenergiehaus in Prien. © Sonnenhaus-Institut/Markus Aichhorn

Das von dem Kompetenznetzwerk für solares Bauen propagierte Bau- und Energiekonzept kommt dem sehr nahe, was er vor vielen Jahren gelesen hatte. Laut Definition muss bei einem Sonnenhaus mindestens die Hälfte des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser solar gedeckt werden. Der Fokus verschiebt sich allerdings immer mehr in Richtung Sektorenkopplung: Bauherren und Planer streben heute in der Regel an, große Teile des Energiebedarfs für Wärme und ebenso für Strom regenerativ zu decken, im Idealfall auch für die Elektromobilität. Das sorgt für einen niedrigen Bedarf an anderen Brennstoffen, was einem sehr niedrigen Primärenergiebedarf entspricht, sowie minimale Treibhausgase wie Kohlendioxid in der Energieerzeugung.

"So bauen, wie wir bauen sollten"

Neben der CO2-freien Bilanz hatte Hövel noch ein zweites Ziel: Er wollte zeigen, dass man die EU-Gebäuderichtlinie für Niedrigstenergiehäuser durchaus, wie von den Autoren ursprünglich ersonnen, einhalten kann. Dafür verweist er auf Artikel 2 in der EU-Gebäuderichtlinie von 2010: "Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird, gedeckt werden." "Das beschreibt doch genau, was wir machen sollten", sagt er und bedauert es, dass der Passus "am Standort oder in der Nähe" für die nationale Umsetzung in Deutschland in dem noch nicht verabschiedeten Gebäudeenergiegesetz gestrichen werden soll.

Bayerische Bauweise 

Bauen konnte die Familie auf einem Grundstück der Eltern und das befindet sich im Zentrum des oberbayerischen Ortes Prien am Chiemsee. Der Bebauungsplan von 1974, den Hövel als "klassisch" bezeichnet, verlangt einen bayerischen Baustil. In Bezug auf die Optik heißt das beispielsweise, dass ein Wohnhaus ein Satteldach mit 22 Grad Neigung haben muss. Das entspricht nicht gerade den Erfordernissen von Sonnenhäusern. Denn damit im Winter viel Solarwärme erzeugt werden kann, sollte die Fläche für die Solarkollektoren möglichst steil geneigt sein, zum Beispiel 60 Grad.

Rund 70 Prozent des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser deckt die Solarthermie-Anlage. Der verbleibende niedrige Wärmebedarf wird von diesem Kachelofen gedeckt.
Rund 70 Prozent des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser deckt die Solarthermie-Anlage. Der verbleibende niedrige Wärmebedarf wird von diesem Kachelofen gedeckt. © Sonnenhaus-Institut/Markus Aichhorn

Mit einiger Überzeugungsarbeit und findiger Auslegung der strengen Vorgaben erhielt das Paar die Baugenehmigung für das Sonnenhaus, und sie durften das Gebäude um 90 Grad drehen, so dass die Längsseite und eine Dachfläche exakt nach Süden ausgerichtet sind. Die Architektin Helga Meinel gestaltete die Optik und gab dem Einfamilienhaus mit Büro und insgesamt 221 Quadratmeter beheizter Wohnfläche ein oberbayerisches Aussehen mit Dachüberständen und Holzbalkonen an der Vorderseite. Zwei kleine runde Fenster - eine Idee von Hövels Frau - erinnern an die Bauernhöfe, die das Ortsbild früher geprägt haben. Michael Hövel, der seit 2015 als unabhängiger Energieberater selbstständig tätig ist, übernahm die Bauphysik und plante die Anlagentechnik inklusive Energie und Elektroplanung.

Um den Wärmebedarf zu reduzieren, wurde das Haus mit Wärmedämmziegeln gemauert. Bis in die zweite Etage - hier hat Hövel sein Büro - ist es gemauert, das Dach ist Holzbau. An der Südfassade wurden 31 Quadratmeter Solarkollektoren installiert. Die 90 Grad-Neigung eignet sich optimal für die Solarwärme-Erzeugung: Die tief stehende Sonne scheint im Winter senkrecht auf die Fläche und kann so viel Wärme erzeugen. Auch das flache Dach erwies sich nun als vorteilhaft und zwar für die Produktion von Solarstrom. Für Photovoltaikanlagen ist eine Dachneigung von 10 bis 30 Grad optimal. Auf diesem Haus beträgt sie 22 Grad, darauf wurde eine PV-Anlage mit knapp 10 Kilowatt (kW) Leistung installiert. Auf dem Carport hat Hövel in diesem Frühjahr noch eine Anlage mit 4 kW Leistung montiert.

Energiebilanz nach einem Jahr 

Die Energiebilanz nach einem Jahr (Anfang Juli 2018 bis Ende Juni 2019) kann sich sehen lassen. Die Solarwärmeanlage deckt 70 Prozent des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser. Für die geringe Zusatzenergie, die notwendig ist, reicht der Heizkamin im Wohnzimmer aus. Der Scheitholzofen mit 31 kW Nennleistung wurde nach den Vorstellungen der Bauleute gemauert. Das Holz stammt von einem Bauern in der Nähe.

Der Haushalt und das Büro für den Ein-Mann-Betrieb werden zu 90 Prozent mit Solarstrom vom eigenen Dach versorgt. Da der Solarstrom zu großen Teilen von vormittags bis nachmittags erzeugt wird, also genau zu der Zeit, in der wenig Strom benötigt wird, hat Hövel einen Solarstromspeicher mit 19,5 Kilowattstunden Speicherkapazität einbauen lassen. Er ist seit März dieses Jahres in Betrieb. So steht der Solarstrom auch abends zur Verfügung, wenn die ganze Familie zuhause ist.

Den Solarstrom nutzt Hövel auch für das Elektroauto, einen E-Golf von VW. Rund 25.000 Kilometer fahren seine Frau und er damit im Jahr. Das entspricht etwa 80 Prozent ihrer Fahrten und zu 80 Prozent fahren sie mit Solarstrom, hat Hövel ermittelt. Die Familie besitzt noch einen VW-Bus als Reisemobil. Um diesen CO2-Ausstoß zu kompensieren, hat Hövel die PV-Anlage auf dem Carport installiert. Sein Speichersystem, das aus drei Batteriemodulen besteht, ist an beide Photovoltaikanlagen gekoppelt und benötigt keinen zusätzlichen Wechselrichter.

Lukrative Förderung 

Das Haus ist mit KfW Effizienzhaus-Standard 55 geplant, hierfür hat es die Voraussetzungen in der Dämmung erfüllt. Hövel konnte die Wärmebrücken nach Passivhaus-Standard optimieren, so dass es KfW Effizienzhaus-Standard 40+ erreicht. Nach Passivhaus-Standard ist es wärmebrückenfrei. Dadurch erhielt er eine höhere Förderung.

Die Kosten hat er genau erfasst und er macht kein Geheimnis daraus. 600.000 Euro hat das Haus gekostet inklusive Garage und Carport, ohne Innenausstattung. Für die in der Summe enthaltene Sonnenhaus-Energietechnik fielen Mehrkosten in Höhe von 70.000 Euro an. Dafür hat Hövel 40.000 Euro Förderung erhalten (BAFA Solarthermie-Förderung, KfW- Programm Energieeffizient Bauen, Bayerisches 10.000 Häuser Programm). Bleiben 30.000 Euro Mehrkosten, wenn man die Fördersumme abzieht. "Die amortisieren sich schon allein durch die eingesparten Benzinkosten", sagt er und rechnet vor: "Wenn ich von 2.000 Euro Spritkosten für 25.000 Kilometer im Jahr ausgehe, spare ich in 20 Jahren 40.000 Euro ein. Mit den 40.000 Euro haben sich die Mehrkosten für die Energietechnik zurückgezahlt." Für die nächsten 20 Jahre decken die Einnahmen aus dem eingespeisten Strom zudem alle anderen Ausgaben für Energie in Form von Scheitholz, Treibstoff und bezogenem Strom. Somit bessern die eingesparten Energiekosten für das Haus schon seit dem Einzug die Haushaltskasse auf.

"In der Mobilität und beim Wohnen sind wir im 21. Jahrhundert angekommen", sagt Hövel mit Verweis auf die EU-Gebäuderichtlinie. Seit Juli 2018 leben er, seine Frau und die neunjährigen Zwillinge Vinzenz und Severin in ihrem neuen Heim. Sie genießen den hohen Wohnkomfort und das angenehme Raumklima in dem Wissen, dass sie dem Klima damit keinen Schaden zufügen.

Größtmöglich unabhängig 

Als autark möchte Hövel sein Haus aber nicht bezeichnen, denn das würde im strengen Sinne bedeuten, dass es netzunabhängig sein muss. "Es ist größtmöglich unabhängig", sagt er. "Wir haben es vom Unabhängigkeitsgrad her und auch wirtschaftlich optimiert."

Vor dem Haus haben sie eine Wildblumenwiese angepflanzt, auf der im Frühjahr Mohn- und Kornblumen prächtig gedeihen. Einen Gemüsegarten haben sie angelegt und Natursteinmauern bieten Eidechsen und Hummeln Platz zum Leben.

36 Jahre, nachdem er den Artikel in der Zeitschrift GEO gelesen hat, lebt Hövel in seinem Traumhaus und zeigt, wie konsequenter Klimaschutz mit viel Komfort und ästhetischer Optik gelebt werden kann. Das Heft hat er übrigens noch. In seinem Keller bewahrt er alle GEO-Ausgaben seit 1981 auf. "Ich habe jedes Wort darin gelesen", sagt er und lacht. Damit die Zeitschriften und die anderen dort gelagerten Dinge nicht zu Schaden kommen, wird der Keller getrocknet. Denn in Prien steht das Wasser vom Fluss oftmals hoch vorm Haus. Wie wird getrocknet? Mit Solarwärme, versteht sich.

Pressemitteilung Sonnenhaus-Institut e.V.

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