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Angeklagter geht ins Gefängnis – allerdings nicht wegen versuchtem Totschlag

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Von: Sascha Ludwig

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Mit einem rund 10 Zentimeter langen Messer soll ein Mann in Rosenheim im Mai eine andere Person lebensgefährlich verletzt haben
Prozessbeginn am 12. Dezember: Versuchter Totschlag Anfang Mai in Rosenheim © Montage dpa/pa

Rosenheim/Traunstein – Nachdem am ersten Verhandlungstag wegen versuchtem Totschlag sowohl der Angreifer, als auch der Geschädigte und weitere Zeugen die Hintergründe der Tat erläutert haben, wird es am Freitag nun ernst: Am Ende des zweiten Prozess am Traunsteiner Landgericht wurde das Urteil gegen den 28-Jährigen verkündet.

Update, 15.15 Uhr - Angeklagter geht ins Gefängnis – allerdings nicht wegen versuchtem Totschlag

Nach einer Beratungspause verkündet Richter Volker Ziegler das Urteil gegen den 28-Jährigen Syrer. Für den Messerangriff gegen einen 36-jährigen Rumänen am Rosenheimer Ludwigsplatz muss der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung hinter Gitter. Die Strafe: Vier Jahre und neun Monate.

Die Begründung der Kammer – und warum es sich nicht um versuchten Totschlag handelte

„Der Angeklagte hat eine hohe Freiheitsstrafe zu erwarten und es besteht deshalb Fluchtgefahr“, führt Richter Ziegler direkt im Anschluss an die Verkündung des Urteils aus. Die Haftfortdauer werde daher angeordnet.

Anfangs sei es wohl eine typische Nacht im Rosenheimer Nachtleben gewesen. „Irgendwann kommt es dann zum Zusammentreffen der beiden Männer“, fasst der vorsitzende Richter die Geschehnisse in der Tatnacht kurz zusammen. Der Angeklagte habe mit den Beleidigungen begonnen, davon ist die Kammer überzeugt. Diese habe der Geschädigte nicht auf sich sitzen lassen wollen. Der Angeklagte habe sich nach den Streitereien entfernt, „hätte dies auch der Geschädigte getan, würden wir heute hier nicht sitzen“, so der Richter weiter in seiner Urteilsbegründung.

Dennoch: Es gäbe keine Anhaltspunkte, dass der Geschädigte den Angeklagten bespuckt oder gar bedroht hätte. Die Aussage des Bekannten des Angeklagten stuft die Kammer als unglaubwürdig ein. Er habe bei seiner Aussage vor Gericht mehr wie ein Verteidiger, weniger wie ein objektiver Zeuge gewirkt.

Gefährliche Körperverletzung mit hoher Freiheitsstrafe

Der Angeklagte habe im Zuge des Angriffs den Geschädigten ohne Zweifel in konkrete Lebensgefahr gebracht. Einen sogenannten bedingten Tötungsvorsatz sieht die Kammer somit als erwiesen, aber: „Zum Glück für den Angeklagten hat er dann nach dem ersten Schnitt nicht weiter gemacht“, so der Richter. Dadurch käme der sogenannte „strafbefreiende Rücktritt vom Totschlag“ ins Spiel. Übrig bleibe der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung - so wie auch Verteidiger Alexander Kohut in seinem Plädoyer folgerte.

Glück hatten in diesem Fall also sowohl der Angeklagte als auch der Geschädigte: „In vielen anderen Gebieten im Landkreis Rosenheim wäre die Hilfe wahrscheinlich zu spät gekommen“. Nur dank des beherzten Eingreifens der Taxifahrerin konnte das Leben des Geschädigten gerettet werden, schließt Richter Ziegler.

Update, 14.24 Uhr - Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung 

Das Bundeszentralregister des angeklagten 28-Jährigen enthält einen Eintrag wegen Betrugs. Es folgen die Schlussanträge der Prozessbeteiligten, die sogenannten Plädoyers. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler beginnt: „Die Hauptverhandlung hat die Anklageschrift vollumfänglich bestätigt“, so seine zentrale Aussage. Die erste Kontaktaufnahme zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten sei zwar etwas unklar, aber dennoch: Aus dem Kontakt der Beiden sei zweifelsohne eine Handgreiflichkeit entstanden - an deren Ende ein Angriff des Angeklagten mit einem Messer gestanden habe. Nur der schnellen Reaktion der Taxifahrerin und der Ärzte in der Rosenheimer Klinik sei zu verdanken, dass der Geschädigte heute noch lebe.

Der Vorwurf des Anspuckens seitens des Geschädigten sei im Nachhinein ganz bewusst von einem Zeugen gestreut wurde, um einen Rechtfertigungsgrund für den Gewaltexzess zu liefern, so Fiedler weiter. Der Staatsanwalt geht weiter davon aus, dass der Tötungsversuch durchaus vollendet wurde. Eine konkrete Gefahr für das Leben des Geschädigten habe in jedem Fall bestanden. „Zudem ist er ganz bewusst bewaffnet zum Saufen gegangen“. Zugutehalten müsse man dem Angeklagten das Teilgeständnis und eine bereits ausgeführte Zahlung in Höhe von 2000 Euro an den Geschädigten. Insgesamt betrachtet fordert Wolfgang Fiedler deshalb eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für den Angeklagten.

Schlussantrag der Verteidigung – Kein vollendeter Tötungsversuch

Rechtsanwalt Alexander Kohut, der Verteidiger des Angeklagten, ergänzt: „Es steht außer Frage, dass mein Mandant auf den Geschädigten getroffen ist. (...) Ich gehe auch davon aus, dass es zu einer Schubserei gekommen ist.“ Als Grund für die Auseinandersetzung sieht der Verteidiger allerdings ein Missverständnis. Der Angeklagte habe sich nach dem Wortgefecht dann allerdings aus der Situation entfernt. Der Geschädigte sei ihm dagegen „wild artikulierend und in schreiender Weise“ nachgegangen. Anders als Staatsanwalt Fiedler geht Rechtsanwalt Kohut auch davon aus, dass der 26-Jährige seinen Mandanten bespuckt habe.

„Ich glaube nicht, dass der Angeklagte erkannt hat, wie schwer die Verletzung war“, sein Mandant habe schließlich auch nicht weiter nachgesetzt. Der Tötungsversuch sei somit nicht beendet gewesen; und folgerichtig auch nicht anzuerkennen. Deshalb bleibe in diesem Fall höchstens eine gefährliche Körperverletzung übrig – mit einer Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren.

„Es tut mir echt sehr leid, ich wollte ihn gar nicht verletzten. Ich will nur eine Chance; mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Ich will zurück zu meinen Kindern“ richtet der Angeklagte selbst seine letzten Worte an die Kammer. 

Update, 13.28 Uhr - Im Vollrausch unvermittelt zugestochen – Geschädigter nur knapp dem Tod entkommen

Nach den Ausführungen des Polizeibeamten stehen nun die Gutachten auf dem Programm. Den Anfang macht eine Rechtsmedizinerin aus München. Zur Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt kann die Ärztin keine Angaben machen, denn: Eine Alkoholkontrolle hatte erst rund 19 Stunden nach der Tat stattgefunden – zu diesem Zeitpunkt mit einem Wert von 0,0 Promille.

Aus den ersten Angaben des Angeklagten vor Gericht rekonstruiert die Gutachterin einen Wert zwischen 1,3 und 2,9 Promille; „sehr wahrscheinlich komme ich da auf einen Wert von rund 2,1 Promille.“ Sollte er doch etwas weniger als zunächst ausgesagt getrunken haben, berechnet die Gutachterin den Wert auf rund 1,5 Promille.

Rechtsmedizinerin mit ausführlichen Angaben

Frische Verletzungen habe der Angeklagte zur Zeit der Festnahme nicht aufgewiesen. Anders natürlich der Geschädigte: Zusätzlich zu den von der Zeugin vom RoMed-Klinikum gemachten Beobachtungen schildert die Gutachterin das Verletzungsmuster bis ins kleinste Detail.

Auch sie ist sich sicher: Der Stich mit dem Messer ging nur knapp am Herz des Geschädigten vorbei. Durch den Stich sei zudem ein sogenannter Pneumothorax entstanden – ein Lungenflügel des Geschädigten sei aufgrund von eindringender Luft in den Brustraum kollabiert. „Ohne Behandlung hätte das Verletzungsmuster ohne Zweifel schnell zum Versterben des Geschädigten geführt“, folgert die Gutachterin.

Danach trägt ein psychiatrischer Gutachter seine Beobachtungen aus den Gesprächen mit dem Angeklagten in der JVA vor. Die berufliche Integration des 28-jährigen Syrers habe in der Vergangenheit bislang sehr gut erfolgt. Zwar habe der Angeklagte insbesondere im letzten halben Jahr vermehrt Alkohol konsumiert; Schäden oder Beeinträchtigungen in der Steuerungsfähigkeit kann der Gutachter allerdings nicht erkennen.

Beleidigungen nur aus Spaß? Psychiatrischer Gutachter mit Aussage vor Gericht

Auch im Gespräch mit dem psychiatrischen Gutachter gab der Angeklagte an, den späteren Geschädigten nur „aus Spaß“ angesprochen zu haben. Beleidigungen sollen zu diesem Zeitpunkt nicht gefallen sein. Sein Gegenüber habe ihn schließlich angespuckt; eine Hand des 36-Jährigen sei dabei in seiner Tasche gewesen. Aus Angst, sein Gegenüber könnte eine Waffe ziehen, habe der 28-Jährige dann selbst das Messer in die Hand genommen. Bewusst zugestochen habe er danach nicht. 

Update, 12.31 Uhr - Polizist rekonstruiert Tat-Geschehen detailliert – „Die zweite Bewegung traf dann...“

In der Woche, in der die Tat stattgefunden hatte, fand auf dem Rosenheimer Ludwigsplatz ein Streetfood-Markt statt, so Polizei-Beamte weiter. Dort habe das Geschehen wohl sein tragisches Ende genommen. Diese Aussage deckt sich mit den Angaben des Geschädigten und dessen Begleitung vom ersten Verhandlungstag. Beide hatte von „geparkten Lastwagen auf einem großen Platz“ berichtet, als sie zum ersten Mal auf den Angeklagten trafen.

Der Polizist rekonstruiert das Tatgeschehen anhand zahlreicher Fotos und grenzt den Ort, an dem der Messerangriff stattgefunden hatte, auf einen kleinen Bereich zwischen Mittertor und einem nahegelegenen Trachten-Geschäft ein. Zusätzlich zeigt der Polizist auch Aufnahmen der städtischen Video-Überwachung. Darauf sind zwar der Geschädigte und dessen Begleiter unmittelbar vor der Tat zu sehen – den Angriff selbst hielten die Kameras allerdings nicht fest.

Zeugen berichten übereinstimmend von der Tat

Einen Zeugen, der bislang nicht vor Gericht erschienen ist, hatte der Polizist zudem kurz nach der Tat vernommen. Dessen Aussage deckt sich weitestgehend mit den Angaben des Geschädigten und dessen Begleiterin vom ersten Verhandlungstag. Der Angeklagte habe die Gruppe und speziell den späteren Geschädigten auf Deutsch beleidigt. Der 36-Jährige sei auf den 28-Jährigen zugegangen, Letzterer habe plötzlich ein Messer gezogen. „Der ersten Schwingbewegung habe der Bekannte des Zeugen noch ausweichen können. Die zweite Bewegung traf dann“, gibt der Polizeibeamte die Aussage wieder.

Nach dem Vorfall in der Tat-Nacht hatte der Polizist auch weitere Beteiligte vernommen. Noch am selben Tag veranlasste der Beamte dann die Herausgabe einer Pressemeldung – mit einem entsprechenden Zeugenaufruf. Kurze Zeit später, dann der Erfolg: Am Abend meldete sich der heute Angeklagte bei der Polizei. Nach der Festnahme äußerte sich der 28-Jährige gegenüber dem Polizisten dann allerdings nicht mehr.

Im Anschluss an die Aussage des Polizisten verließt die Kammer noch die vollständige Aussage des bislang nicht erschienen Zeugen. Trotz Vorladung war der Bekannte des Geschädigten nicht erschienen, laut Volker Ziegler sei der Mann aktuell in Rumänien und bislang nicht erreichbar.

Update, 10.37 Uhr - Knapp das Herz verfehlt – Angeklagter hat mit „massiver Gewalt“ angegriffen

Nach den Augenzeugen, die bereits am ersten Verhandlungstag vor Gericht vernommen wurden, folgen heute weitere Einblicke. Insbesondere von zwei anwesenden Gutachtern erhofft sich die 5. Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Volker Ziegler wertvolle Einblicke in das Tatgeschehen und die Hintergründe.

Person am Klinikum reagierte geistesgegenwärtig

Den Anfang macht am Freitag allerdings eine Ärztin vom Rosenheimer Klinikums. Sie hatte den schwer verletzten 36-Jährigen unmittelbar nach der Tat behandelt. „In der Notaufnahme hatte der Geschädigte eine stark blutenden Wunde. Ich habe ihn dann erstmal stabilisiert und weiter versorgt“, so die Ärztin.

Die Verletzung beschreibt die Medizinerin als „rund 15 Zentimeter breit“, „ganz sicherlich tief“ und „lebensbedrohlich“- laut ihrer Auffassung müsse mit „massiver Gewalt“ auf den Mann eingewirkt worden sein. Neben der tiefen Stichverletzung hatte der Geschädigte einen Rippenbruch erlitten. Auch ein Lungenflügel sei im Zuge dessen vollständig kollabiert. Beim Geschädigten stellten die Ärzte schließlich eine Blutalkohol-Konzentration von rund 1,5 Promille fest.

Innerhalb kürzester Zeit habe der 36-Jährige rund zwei Liter Blut verloren. Der Stich mit dem Messer habe nur knapp das Herz verfehlt, auch die Ärztin spricht in diesem Zusammenhang von großem Glück. Nach der Erstversorgung auf der Intensivstation konnte der Geschädigte in der Folge auf Normalstation verlegt werden – starke Medikamente wurden dem Mann dann aber weiterhin über einen längeren Zeitraum gegen die Schmerzen verabreicht.

Bilder vom Tatort und Tat-Rekonstruktion

Ein Polizist der Rosenheimer Inspektion macht im Anschluss Angaben zum Tatort. Er präsentiert dem Gericht Fotoaufnahmen vom Ludwigsplatz, dem Bereich vor der Nikolaus-Kirche und dem Ort, wo Angeklagter und Geschädigter zum ersten Mal aufeinandertrafen. Er rekonstruiert so die Minuten vor und auch nach der Tat.  

Vorbericht

Seit Montag (12. Dezember) muss sich ein 28-jähriger Syrer am Landgericht verantworten: Er soll Anfang Mai auf dem Rosenheimer Ludwigsplatz einen heute 36-jährigen Rumänen mit einem Einhand-Messer niedergestochen haben. Vorangegangen war eine verbale Auseinandersetzung zwischen den Beiden. Am ersten Verhandlungstag machten sowohl der Angeklagte, als auch der Geschädigte Angaben zum Tathergang - mit teils widersprüchlichen Aussagen.

So gab der Angeklagte an, in der Tat-Nacht stark alkoholisiert gewesen zu sein. Auf dem Ludwigsplatz habe großer Trubel geherrscht - neben weiteren Personen habe auch der Geschädigte laut herumgeschrien. Nachdem er den 36-Jährigen angesprochen hatte, habe dieser ihn unmittelbar bespuckt. „In der arabischen Welt ist sowas eine absolute Erniedrigung“, führt im weiteren Prozessverlauf ein Zeuge und Freund des Angeklagten aus. Wie es zu den lebensbedrohlichen Verletzungen schließlich gekommen ist, daran könne sich der 28-Jährige nicht mehr genau erinnern. Nach eigener Aussage habe er lediglich versucht, den Rumänen mit gezogenem Messer auf Abstand zu halten.

Der verletzte 36-Jährige und auch seine Begleiterin, die am Montag als Zeugin vor Gericht aussagte, schildern die Abläufe etwas anders: Man sei zum Feiern in der Rosenheimer Innenstadt unterwegs gewesen. Plötzlich habe der Angeklagte unvermittelt die Mutter des späteren Geschädigten beleidigt. Aus einem Wortgefecht entstand dann ein Gerangel - und dann soll der 28-Jährige auf einmal ein Messer in der Hand gehabt haben. Wie genau das Messer dann den Oberkörper des Geschädigten getroffen hat, dass konnten sowohl der 36-Jährige als auch seine Begleiterin nicht mit abschließender Sicherheit sagen.

Fest steht, dass sich die Beiden im Anschluss auf den Messerangriff aus der Situation entfernen und zu einem nahegelegenen Taxistand retten konnten. Dort reagierte eine Taxifahrerin umgehend und brachte den Schwerverletzten zur Notaufnahme des Rosenheimer Klinikums. Auf der kurzen Fahrt vom Ludwigsplatz zur RoMed-Klinik verlor der 36-Jährige fast zwei Liter Blut. Nur Dank einer Not-Operation überlebte er schließlich den Angriff. Am Freitag (16. Dezember) wird der Prozess gegen den 28-jährigen Syrer am Traunsteiner Landgericht fortgesetzt. Im Falle einer Verurteilung wegen versuchtem Totschlag droht dem Angeklagten eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren.

***chiemgau24.de berichtet am Freitag ab 10 Uhr live und in Ausschnitten aus dem Gerichtssaal.***

sl

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