Nach 13 Jahren: BGH beendet Justizdrama

Karlsruhe - Ende eines Justizdramas: Harry Wörz, der zu Unrecht verurteilt wurde, erringt nach 13 Jahren endgültig einen Freispruch. Gegen einen anderen Verdächtigen, er ist Polizist, wird weiter ermittelt.
Etwas verloren irrte Harry Wörz durch den Vorraum des Bundesgerichtshofs, sichtlich erschöpft. Viereinhalb Jahre lang saß der gelernte Installateur unschuldig in Haft. Mehr als 13 Jahre lang dauerte das Justizdrama um den 44-Jährigen - und nun, da es endlich zu Ende ist, Wörz endgültig und rechtskräftig freigesprochen ist, da sieht es so aus, als würde er am liebsten wegrennen.
Am Mittwoch hat der Bundesgerichtshof den Freispruch für Wörz bestätigt (Az. 1 StR 254/10). “Das hat viel zu lange gedauert“, sagt er leise. Bedrängt von Kameras, mit dem Rücken zur Wand, verliest Wörz schließlich eine kurze Erklärung. “Man hat über 13 Jahre meines Lebens zerstört und meine Zukunft verbaut. Meine Gesundheit ist ruiniert und meine Fröhlichkeit schwindet.“ Es muss wie ein nicht enden wollender Alptraum gewesen sein, der am 29. April 1997 kurz nach fünf Uhr morgens begann, als Polizeibeamte Wörz festnahmen.
In der Nacht hatte Wörz' Frau Andrea Z., die von ihm getrennt lebte, in Ihrer Wohnung in der Nähe von Pforzheim (Baden-Württemberg) Besuch bekommen. Sie muss den Täter gekannt haben - entweder er hatte einen Schlüssel, oder sie hatte ihm geöffnet. Es kam zu einem lautstarken Streit, den ein Nachbar mithörte. Dann würgte der Täter Andrea Z. mit einem Wollschal, bis sie bewusstlos war. Sie ist seit der Tat schwer behindert und kann sich nicht mehr dazu äußern. Die Ermittlungen konzentrierten sich schnell auf Harry Wörz. 1998 verurteilte ihn das Landgericht Karlsruhe wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren. Die Revision wurde abgewiesen, damit war das Urteil rechtskräftig.
Die Wende brachte im Jahr 2001 ein Zivilprozess: Die mittlerweile von Wörz geschiedene Frau forderte - vertreten durch ihre Betreuer - Schadenersatz und Schmerzensgeld. Das Zivilgericht prüfte nochmals umfangreich die Beweise und stellte schwerwiegende Mängel bei den Ermittlungen fest. Wörz erreichte eine Wiederaufnahme des Verfahrens - so etwas gelingt selten und nur unter strengen Voraussetzungen. 2005 wurde Wörz ein erstes Mal freigesprochen, doch der BGH ordnete eine Neuauflage des Prozesses an. Im Oktober 2009 sprach ihn das Landgericht Mannheim erneut frei.
Die Richter bemängelten die Ermittlungen der Polizei. So hatten die Beamten die Wohnung von Wörz ab 2:55 Uhr morgens observiert, aber gewartet, bis morgens um fünf das Licht anging. Bei einem anderen Tatverdächtigen warteten bis viertel nach sieben, bevor sie klingelten. Und gerade dieser Mann schien den Richtern in Mannheim nun besonders verdächtig: Der Liebhaber von Andrea Z., ein Kollege von der Polizei. Er sei vor der Tat zwischen einem Ultimatum seiner Ehefrau und dem Drängen der Freundin hin und her gerissen gewesen. Es ist ungewöhnlich, dass ein Gericht derart deutliche Verdächtigungen gegen jemand anderen äußert, um einen Freispruch zu begründen - aber unzulässig ist es nicht, stellte der der Vorsitzende Richter Armin Nack in seiner Begründung fest. Es handele sich - neben anderen Indizien - um Umstände, die dagegen sprechen könnten, dass Harry Wörz der Täter war. “Das Landgericht Mannheim hatte Zweifel, dass Harry Wörz der Täter war.
Und diesmal sind die Zweifel auch für den Senat nachvollziehbar vernünftig begründet“, sagte Nack. Nack betonte aber auch, dass der Freispruch für Wörz nicht bedeute, dass nun der Geliebte als Täter überführt sei. Gegen den Polizeibeamten wird weiter ermittelt. “Das Ringen um die Schuld des Angeklagten wäre damit zu Ende, nicht aber das Ringen um Aufklärung“, sagte Bundesanwalt Wolfram Schädler in seinem Plädoyer. Wörz dankte schließlich noch allen, die ihn in den vergangenen 13 Jahren unterstützt hatten. “Viele Menschen, auch von der Presse, haben an meine Unschuld geglaubt, obwohl das Gericht mich verurteilt hatte.“ Ihm bleibt die Aussicht auf eine Haftentschädigung. Nach Angaben seines Verteidigers Hubert Gorka kann er 25 Euro pro Tag verlangen - bei mehr als viereinhalb Jahren Haft rund 41 000 Euro. “Davon“, so Gorka, “werden allerdings Kost und Logis abgezogen“.
dpa