Astronaut Gerst sollte sein Testament machen

Moskau - Der Astronaut Alexander Gerst verrät im Interview, warum er die Forschung auf der ISS für unentbehrlich hält, warum er kein Testament machen wollte und wie es nach seinem Weltraum-Trip weiter geht.
Nach seiner spektakulären Reise durchs Weltall und etwa 2500 Erdumrundungen spannt Alexander Gerst erst einmal aus. „Ich bin froh, einen Gang herunterzuschalten“, sagt der Astronaut, der am 10. November von der Internationalen Raumstation ISS zurückkehrte. Fast ein halbes Jahr hat Gerst im Kosmos gearbeitet - und die nächste Aufgabe wartet schon. Der 38-Jährige soll mithelfen, die Voraussetzungen für eine Reise zum Roten Planeten zu schaffen. „Dass der Mensch eines Tages zum Mars fliegt, steht für mich außer Zweifel“, sagt er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Wie geht es Ihnen nach fast 166 Tagen im Weltall?
Gerst: Hervorragend. Einige Muskelgruppen sind sogar größer geworden. Und ich kann bereits mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen, ohne umzukippen. Warum das so ist, kann ich nicht erklären. Das verwundert auch die Wissenschaftler. Derzeit untersuchen sie meine Knochen, Muskeln und den Kreislauf. Sie wollen herausfinden, wie das Training in der Schwerelosigkeit für Langzeitmissionen perfektioniert werden kann, damit es einem direkt bessergeht. Wenn Menschen irgendwann auf dem Mars landen, werden sie sofort arbeiten müssen. Und es wird niemand da sein, der sie aus der Kapsel zieht.
Gerst sollte Testament machen
Frage: Stimmt es, dass Ihnen vor dem Start empfohlen wurde, ein Testament zu machen?
Antwort: Ja, aber ich habe das nicht getan. Bei einem schlechten Gefühl hätte ich das vielleicht machen wollen. Aber ich habe mich auf jede Phase der Mission gefreut. Ich würde sofort wieder fliegen.
Frage: Es heißt, die ersten Raumfahrer seien losgereist, um den Mond zu erforschen - und hätten die Erde entdeckt. Stimmen Sie dem zu?
Gerst: Auf alle Fälle. Es ist ja oft so, dass wir aufbrechen und dann unterwegs etwas entdecken, was noch wertvoller ist als das ursprüngliche Ziel. Wenn wir aufwachsen, wirken der Wald, das Land, das Wasser so groß und unendlich verfügbar. Von außen aber sieht man: Die Erde ist rund und hat an allen Ecken ein Ende. Das ist nicht nur eine begrenzte Kugel, sondern sie ist auch noch relativ klein. Das Universum besteht vermutlich zu 99,99 Prozent aus schwarzem tödlichen Nichts, und an einer Stelle gibt es diesen blauen Punkt. Das ist unsere Heimat - die einzige, die wir Menschen haben und kennen. Und diese Heimat ist nicht von einer robusten Atmosphäre umgeben, sondern einem zarten Schleier, der uns als einziges schützt vor Vakuum und Strahlung. Das lernt man sofort, wenn man auf die Erde sieht.
Frage: Der sowjetische Raumfahrtpionier Juri Gagarin hat gesagt, er habe Gott im Weltall nicht gesehen. Hatten Sie einen besseren Blick?
Gerst: Ah, die Gottesfrage. Was soll ich da sagen? Ich bin offen für verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen. Ich bin ja selbst mit christlichen Werten aufgewachsen. Ich bin eher jemand, der nichts ausschließen will. Für mich reicht es nicht, zu glauben, ich komme gerne hinter die Dinge. Gibt es den Urknall, und wenn ja, wie hat das funktioniert? Das ist das, was in mir Faszination auslöst.
Frage: Die Raumstation ISS ist teuer. Brauchen wir sie wirklich?
Gerst: Ja. Es gibt viele Ergebnisse, die wir nur auf der ISS gewinnen können. Wir haben zum Beispiel keine Chancen, Legierungen freischwebend auf der Erde zu erforschen. Wenn wir neue Technologien und Materialien finden wollen - etwa für Flugzeugtriebwerke -, müssen wir in den Erdorbit gehen. In einem Satelliten funktioniert das so nicht. Als Industrienation, die davon lebt, dass sie an vorderster Front der Technologien arbeitet, können wir uns den Verzicht auf ein solches Labor nicht leisten. Wenn wir unseren wissenschaftlichen Nachwuchs im Land halten wollen, müssen wir ihm Perspektiven aufzeigen und ihn faszinieren. Hier hilft uns die Raumstation weiter. Ich zweifle nicht daran, dass sie noch eine lange Zukunft hat.
Das lehrt uns der Mars über Außerirdische
Frage: Was denken Sie: Sind wir allein im All?
Antwort: Wir sind kurz davor, diese Frage eventuell zu beantworten. Wissenschaftler meinen, dass es sehr viele erdähnliche Planeten mit Bedingungen für Leben gibt. Um das herauszufinden, könnten wir uns auf dem Mars umschauen. Wenn wir beim ersten Blick über den Tellerrand auf Leben stoßen, dann blüht das Weltall. Diese Frage kann uns der Mars vermutlich beantworten. Er ist der beste Kandidat dafür.
Frage: Wie geht es mit Ihnen weiter?
Gerst: Ich habe in den vergangenen fünf Jahren ununterbrochen trainiert. Jetzt ist es Zeit, andere Prioritäten hervorzuholen. Ich möchte mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich werde bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa in Köln arbeiten und künftige Astronauten unterstützen. Auch mit Eurocom in Oberpfaffenhofen, dem Kontrollzentrum für das Columbus-Labor der ISS, werde ich arbeiten. Da ist mein Platz in den nächsten Jahren. Das sind alles Dinge, die den Zeitplan für eine Person mehr als auffüllen können.
Alexander Gerst - Kurzbiografie
Alexander Gerst hat in Karlsruhe Geophysik studiert und forschte an der Universität Hamburg. Auf den Beruf als Astronaut habe er nie gezielt hingearbeitet, sagt er. Die Bewerbung bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa sei „ein Versuch“ gewesen. Dort setzte sich der am 3. Mai 1976 in Künzelsau (Baden-Württemberg) geborene Gerst gegen mehr als 8400 Konkurrenten durch. Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf war der elfte Deutsche im All.
Astronaut Gerst: Die besten Bilder seines Weltraum-Trips
dpa