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Im Stil ein Anti-Melnyk? Oleksii Makeiev über Waffen-Lieferungen und seine Rolle als Botschafter

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Von: Marcus Mäckler, Klaus Rimpel, Georg Anastasiadis, Mike Schier

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Im Stil ein Anti-Melnyk: Oleksii Makeiev studierte in Kiew und begann seine diplomatische Laufbahn mit 21. Seit 17. Oktober ist er Botschafter in Berlin.
Oleksii Makeiev studierte in Kiew und begann seine diplomatische Laufbahn mit 21. Seit 17. Oktober ist er Botschafter in Berlin. © Britta Pedersen / dpa

Er formuliert ruhig, stets überlegt – und er lobt die Deutschen. Im Stil unterscheidet sich Oleksii Makeiev massiv von seinem Vorgänger Andrij Melnyk. Seit drei Monaten ist der 47-Jährige ukrainischer Botschafter in Berlin. Im Interview spricht er über Christine Lambrecht, Waffen, seinen Umgang mit Russen - und über die Luftwarn-App, die ihn auch in Berlin aus dem Schlaf reißt. 

Herr Botschafter, Christine Lambrecht hat das Amt der Verteidigungsministerin in dieser schweren Zeit nie ausfüllen können. Viele sind erleichtert über ihren Rücktritt. Sie auch?

Oleksii Makeiev: Ich habe Frau Lambrecht im Herbst in Odessa kennengelernt. Es waren eindrucksvolle Stunden. Wir saßen zusammen im Luftschutzbunker, im Hafen von Odessa habe ich ihr Gepard-Flakpanzer gezeigt. Ich glaube, sie hat damals eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die Debatte „Waffen liefern oder nicht“ weiterging.

Sie klingen freundlicher als so manche deutscher Beobachter…

Oleksii Makeiev: Der Rücktritt ist ihre Entscheidung und sie hatte ihre Gründe. Jetzt muss es weitergehen. Wir wünschen uns, dass auch unter ihrem Nachfolger ukrainische Soldaten in Deutschland ausgebildet werden, dass weiter Waffen geliefert werden und dass es endlich eine langfristige Strategie für Lieferungen gibt, statt immer nur von Tag zu Tag zu denken.

Am Freitag treffen sich die Ukraine-Unterstützer in Ramstein. Erwarten Sie konkrete Kampfpanzer-Zusagen aus Berlin? 

Oleksii Makeiev: Ich kann den Verteidigungsministern nicht vorgreifen. Aber klar ist, dass wir dringend Leopard-2- Panzer brauchen, um besetzte Gebiete zurückzuerobern. Im Frühling standen 20 Prozent des ukrainischen Territoriums unter russischer Kontrolle, jetzt sind es 15 Prozent. Vieles ist befreit worden. Aber unsere Militärs sagen, dass hunderte Kampf- und tausende Schützenpanzer nötig sind, um auch den Rest zu befreien.

Gibt es in der ukrainischen Bevölkerung eine gewisse Traurigkeit darüber, dass die Deutschen noch immer so zögerlich sind? 

Oleksii Makeiev: Zögerlich und traurig? Jetzt sind Sie ja fast diplomatischer als ich. Da fielen mir viel kräftigere Worte ein. Aber ja, viele Ukrainer können nicht glauben, dass es so lange braucht, um die nötigen Waffen zu liefern. Das deutsche Flugabwehrsystem Iris-T hat tolle Arbeit geleistet und es gibt keine bessere Waffe gegen russische Kamikaze-Drohnen als deutsche Gepard-Panzer. Aber warum kam all das nicht früher? Wir erwarten, dass sich im Westen ein strategischeres Denken durchsetzt. Es braucht einen großen Plan: Wer kann was liefern, wie sieht es mit Ersatzteilen aus, wo kann repariert werden… 

Der Kanzler folgt einem anderen strategischen Kalkül: Er will nicht, dass wir tiefer in den Krieg hineingezogen werden… 

Oleksii Makeiev: Ich glaube, nicht mal mehr in Deutschland werden die Waffenlieferungen als Provokation gegenüber Russland angesehen. Wir sehen jeden Tag, was Eskalation wirklich bedeutet. Erst am Samstag hat Russland ein Hochhaus in Dnipro beschossen, mehr als 40 Menschen starben. Das ist tägliches Leben in der Ukraine. Frieden muss erkämpft werden, und viele Deutsche haben begriffen, dass wir auch für sie kämpfen. 

Selbst wenn Berlin Leopard-Panzer liefern wollte, wären sie erst in einigen Monaten einsatzbereit. Hat die Ukraine diese Zeit?

Oleksii Makeiev: Nein. Die Frage muss sein, was sofort geliefert werden kann. 

Ihr Vorgänger Andrij Melnyk hat vorgeschlagen, Berlin könnte Tornado-Jets liefern, die bald ohnehin aussortiert würden.

Oleksii Makeiev: Soweit ich weiß, sprechen wir mit anderen Regierungen über Flugzeuge und ich nehme an, das Training an einem Tornado-Jet würde länger dauern als an Panzern. Wir brauchen die westlichen Modelle auch deshalb so dringend, weil uns für unsere sowjetischen Panzer Ersatzteile und Munition ausgehen.

Herr Melnyk hat als Botschafter leidenschaftlich für die Ukraine gekämpft, aber er hat auch polarisiert. Müssen Sie noch die Scherben aufkehren, die er hinterlasen hat?

Oleksii Makeiev: Andrij hat viele Freunde, viele bewundern ihn und seine Leistung. Auch ich weiß, dass er sehr tapfer gekämpft hat. Ich bin in einer privilegierten Position, weil Deutschland im Vergleich zu Februar schon sehr viel geändert hat. Ich bin im Oktober hierhergekommen, in ein Land der totalen Solidarität mit der Ukraine. Die Hilfsbereitschaft ist groß, die Liste der Waffenlieferungen lang. Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, war ich Sanktionsbeauftragter in der Ukraine. Berlin hat damals die Führungsrolle übernommen und mir geholfen, die Sanktions-Koalition zusammenzuführen.

So viel Lob wäre Herrn Melnyk nicht über die Lippen gekommen. 

Oleksii Makeiev: Ach wissen Sie, wir Ukrainer sind ein dankbares Volk, wir erinnern uns daran, wenn uns geholfen wird. Natürlich will man immer mehr. Ich unterscheide mich vielleicht in der Art und Weise, wie ich kommuniziere, Verhandlungen führe ich nicht über die Medien, sondern hinter verschlossenen Türen. Aber die Inhalte sind die gleichen.

Wenn Sie abends nach Hause gehen, sehen Sie vermutlich die schlimmen Bilder aus Ihrer Heimat. Wo lebt Ihre Familie?

Oleksii Makeiev: Meine Eltern sind in Kiew, meine Tante lebt in Dnipro…

Dort, wo am Samstag die Rakete eingeschlagen ist… 

Oleksii Makeiev: Genau. Wir haben eine Warn-App in der Ukraine, die ich bis heute nicht abgeschaltet habe, auch aus Sorge um meine Eltern. Oft wache ich auf, wenn es in Kiew Luftalarm gibt. Die erste Frage ist dann: Geht es euch gut, war der Einschlag weit von euch entfernt? Das Gefühl ist schrecklich. Meine Tochter war über Silvester in Kiew und verbrachte die Nacht im Luftschutzbunker. Davon wird sie später ihren Enkeln erzählen, so wie meine Großeltern mir erzählt haben, wie es im Zweiten Weltkrieg war. Das hätte ich mir nie vorstellen können.

Haben Sie Menschen in diesem Krieg verloren, die Ihnen nahestanden? 

Oleksii Makeiev: Leider ja. Viele Freunde und Bekannte, auch Diplomaten, sind an die Front gegangen, mein Facebook ist gefüllt mit Schwarz-Weiß-Fotos. Jeder kämpft auf seine Art. Wenn ich als Botschafter dazu beitragen kann, dass Schützenpanzer schneller geliefert werden, ist das mein Beitrag. 

Die Frage mag schräg wirken, trotzdem: Haben Sie Freunde in Russland? 

Oleksii Makeiev: Nein. Ich werde oft gefragt, wie es ist, wenn ich hier auf Russen treffe. Dann sage ich: An der Sprache wird es nicht liegen, ich bin Diplomat und nutze jede Sprache, um ins Gespräch zu kommen. Wissen Sie, ich habe hier schon mit einigen Russen gesprochen, aber keiner hat je gesagt, dass er sich für sein Land schämt. Sie schauen einfach weg. Ich habe so viele Iraner am Brandenburger Tor demonstrieren sehen und frage mich: Wo sind die Russen, die fordern: Putin, stopp diesen Krieg?

Irgendwann wird der Krieg enden müssen. Ist der Gedanke an Verhandlungen für Sie noch zu weit weg? 

Oleksii Makeiev: Natürlich braucht es irgendwann einen Friedensvertrag. Aber diejenigen, die sofortige Verhandlungen fordern, haben keine Strategie und nehmen letztlich in Kauf, dass wir Gebiete verlieren. Zeigen Sie mir jemanden, der mit Putin über Georgien oder Donbass verhandelt hat, ohne Gebiete zu verlieren. Den gibt es nicht. Für uns ist ganz klar: Russland muss alle besetzten Gebiete verlassen, Kriegsverbrecher müssen zur Rechenschaft gezogen werden, Russland muss für den Wiederaufbau zahlen. Und es braucht Garantien, dass Russland keinen neuen Krieg beginnt.

Sehen Sie die Chance, dass der Krieg 2023 endet? 

Oleksii Makeiev: Sie meinen, dass wir den Krieg in diesem Jahr gewinnen? Ja, das hoffen wir sehr. 

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