1. chiemgau24-de
  2. Politik

Neuer Parteiführer legt sich mit China an: „Taiwan ist bereits ein unabhängiges Land“

Erstellt:

Von: Sven Hauberg

Kommentare

Taiwans Regierungspartei hat einen neuen Chef: William Lai könnte im kommenden Jahr neuer Präsident des Landes werden – und geht schon jetzt auf Konfrontationskurs mit China.

München/Taipeh – Bei Grün sieht China rot: Grün, das ist die Farbe von Taiwans Demokratischer Fortschrittspartei (DPP), deren langjährige Vorsitzende Tsai Ing-wen seit 2016 Präsidentin des demokratisch regierten und von China beanspruchten Landes ist. Die DPP ist neben der Kuomintang (KMT) eine der beiden großen Parteien Taiwans, und anders als die KMT ist sie traditionell eher Peking-kritisch eingestellt und strebt langfristig eine formelle Unabhängigkeit von China an. Damit vertritt die Fortschrittspartei eine Position, die auch immer mehr Taiwaner befürworten, wie Umfragen aus den letzten Jahren zeigen. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen November aber wurde die DDP von den Wählerinnen und Wähler abgestraft. Sie gewann nur fünf der zu vergebenden Posten, die KMT hingegen fast dreimal so viele. Präsidentin Tsai legte daraufhin ihr Amt als Parteivorsitzende nieder.

Jetzt hat die DDP einen neuen Chef – und damit auch einen wahrscheinlichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Denn Tsai selbst darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Der Neue an der Spitze von Taiwans Regierungspartei heißt Lai Ching-te, ist 63 Jahre alt, nennt sich auf Englisch William Lai – und ist seit gut zweieinhalb Jahren taiwanischer Vizepräsident.

Konflikt mit China: „Die Zukunft Taiwans kann nur von seinen 23 Millionen Einwohner bestimmt werden“

Aus Sicht der Regierung in Peking ist Lai aber vor allem eines: ein Ärgernis. Lai hatte sich bereits 2017 als „politischen Arbeiter für die taiwanische Unabhängigkeit“ bezeichnet. Und Peking weist bekanntermaßen alle Versuche Taiwans, sich als unabhängiges Land zu präsentieren, empört zurück. 2018, damals war Lai noch Premierminister, forderte Chinas Propagandablatt Global Times gar, Lai solle per internationalem Haftbefehl gesucht und an die Volksrepublik ausgeliefert werden. Immerhin: Kürzlich erst rüstete Lai verbal etwas ab. Den Slogan „Widerstand gegen China und Schutz Taiwans“, den Tsai Ing-wen 2020 geprägt hatte, änderte Lai nun ab in „Taiwan friedlich beschützen“.

Wobei Peking freilich auch an dieser neuen Wortwahl etwas auszusetzen hat: Es sei „nicht miteinander vereinbar“, von Frieden zu sprechen und gleichzeitig die Unabhängigkeit Taiwans von China zu fordern, erklärte in Peking Ma Xiaoguang, der Sprecher von Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten. „Wenn einige Politiker auf der Insel wirklich Frieden in der Straße von Taiwan wollen, sollten sie ihre separatistische Haltung zur ‚Unabhängigkeit Taiwans‘ aufgeben“, so Ma weiter.

Einer formellen Unabhängigkeitserklärung erteilte Lai unlängst eine Absage – allerdings mit Worten, die kaum im Sinne Pekings waren. „Ich möchte noch einmal betonen, dass Taiwan bereits eine unabhängige und souveräne Nation ist und wir daher keinen Grund haben, die Unabhängigkeit Taiwans zu erklären“, sagte Lai auf einer Pressekonferenz, nachdem er das Amt als Vorsitzender der DDP übernommen hatte. Und: „Die Zukunft Taiwans kann nur von seinen 23 Millionen Einwohner bestimmt werden.“

Beziehungen zwischen Taiwan und China sind auf einem neuen Tiefpunkt

Seit Tsai Ing-wen von der DDP Präsidentin Taiwan ist, haben sich die Beziehungen zur Volksrepublik stetig verschlechtert, mit dem Besuch von Nancy Pelosi im vergangenen Sommer war ein neuer Tiefpunkt erreicht. Seitdem hat China massive Militärmanöver rund um Taiwan durchgeführt und schickt täglich Kampfjets in die Region. Der Status quo gerät ins Wanken. Im Oktober beteuerte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping erneut, die Taiwan-Frage zwar möglichst friedlich lösen zu wollen. Peking werde aber „niemals versprechen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten“. Vor diesem Hintergrund verlangt Eric Chu, Anführer der oppositionellen KMT, Klarheit von Lai: Was genau meint er damit, wenn er sich einen „Arbeiter für die taiwanische Unabhängigkeit“ nennt? Und was folgt daraus? Konkrete Ansätze bleibt Lai bislang schuldig.

William Lai im Jahr 2020
William Lai im Jahr 2020: Der neue DDP-Vorsitzende ist ein wahrscheinlicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. © Sam Yeh/afp (Archivfoto)

Präsidentin Tsai hatte im November die Bedrohung durch China ins Zentrum des Wahlkampfes gestellt, mit diesem Thema aber offenbar nicht verfangen. Das lag einerseits daran, dass die Außenpolitik bei Regionalwahlen in der Regel eine eher untergeordnete Rolle spielt. Außerdem musste die DDP wegen ihres planlosen Umgangs mit der Pandemie im zweiten Corona-Jahr 2021 Federn lassen. Viele Wähler waren aber auch frustriert darüber, dass Taiwan in den vergangenen Jahren zwar rhetorisch aufgerüstet hat, gleichzeitig aber nicht genug Geld in die Verteidigung steckt. Erst vor wenigen Wochen hatte Tsai angekündigt, die Dauer der Wehrpflicht von bislang vier Monaten auf ein Jahr zu verdreifachen – ein längst überfälliger Schritt, wie viele Experten sagen.

Ein Krieg zwischen China und Taiwan ist „keine Option“

Unter Tsai Ing-wen brachen zudem sämtliche Gesprächskanäle mit Peking ab. Das habe, so der taiwanische Journalist Hilton Yip, zu Verunsicherung im Land geführt. Es sei, sagt Yip, also „nicht verwunderlich“, dass viele Wähler ihrer Stimme lieber der China-freundlichen KMT gegeben haben als Tsais Regierungspartei. „Sie hoffen, Peking zu besänftigen, könnte einen Krieg verhindern.“ Denn – und auch das besagen Umfragen: Die meisten Taiwaner wollen am Status quo festhalten. Selbst die große Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter will sich nicht sofort von Peking lossagen. Für sie ist der derzeitige Schwebezustand die beste Lösung.

Worin sich alle in Taiwan einig sind, das machte Präsidentin Tsai unlängst in einem Brief an Papst Franziskus deutlich, dessen Vatikanstadt als einziger Staat in Europa diplomatische Beziehungen mit Taipeh führt: Ein Krieg mit China, so Tsai, sei „keine Option“.

Auch interessant

Kommentare