NRW: Schlechte Noten für Wahlprogramme

Stuttgart - Die nordrhein-westfälischen Parteien reden am Bürger vorbei - zumindest was ihre Parteiprogramme angeht. Das geht aus einer Untersuchung der Universität Hohenheim hervor. Hier das Ergebnis.
Die umfangreichen Selbstdarstellungen von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linkspartei sind durch komplizierte Schachtelsätze, Insider-Begriffe und Fremdwörter für viele Bürger kaum verständlich. Am unverständlichsten formuliert demnach die FDP. Ihr Wahlprogramm in Nordrhein-Westfalen sei “etwa so leicht verdaulich wie eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit“, urteilten die Forscher.
Doch auch die anderen Parteien verprellten ihre Leser mit Begriffen wie “kooperative Versorgungsstrukturen“ (CDU), “doppisches Haushaltswesen“ (FDP), “Konnexitätsprinzip“ (SPD, Grüne), “Sequestrierung“ (Grüne) oder “korruptive Sachverhalte“ (Linke). Dass Politik vielen Bürgern unverständlich und intransparent vorkomme, liege nicht zuletzt an der Sprache der Parteien, urteilte der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider. “Bei sämtlichen Parteien finden sich Verstöße gegen grundlegende Verständlichkeitsregeln. Der Jargon aus Fremdwörtern und Fachbegriffen macht die Wahlprogramme für viele Bürgerinnen und Bürger unverständlich.“ Die Wortwahl sei meist das Ergebnis von innerparteilichen Expertenrunden. Die Folge sei eine von Bürokratismen durchzogene Fachsprache, die an den Bedürfnissen der “normalen“ Leser vorbeigehe.
Jargon aus Fremdwörtern und Fachbegriffen
Die häufige Verwendung von Anglizismen erschwert der Studie zufolge das Verständnis der Texte zusätzlich - zumindest für einige Wählergruppen. “Equal pay“ (SPD) und “Repowering“ (SPD), “Shared Services“ (FDP), “Open Access-Modelle“ (CDU) und “CrossBorder-Leasing“ (Linke) seien nur zur verstehen, wenn man den Bürgern entsprechende “Coachingangebote“ (Grüne) unterbreite, kommentierte der Wissenschaftler süffisant. Für weitere Probleme sorgen die oft atemberaubend langen Satzkonstruktionen. Die Hohenheimer Forscher fanden bei allen Parteien Sätze mit bis zu 69 Wörtern. Als Meister der Bandwurmsätze erwies sich dabei die FDP, in deren Programm ein Satz der Studie zufolge im Durchschnitt aus 17,7 Wörtern besteht.
Zuweilen bleibe für den Durchschnittsleser bei alledem rätselhaft, was die Parteien eigentlich wollten, meinen die Kommunikationswissenschaftler und verweisen auf Sätze wie: “Um ein umfassendes Angebot an Ganztags- und Halbtagsschulen zu gewährleisten, wird der Ganztag flexibilisiert“. (FDP). Oder: “Ziel der öffentlichen Beschaffung soll es sein, Benchmarks zu setzen, an denen sich Unternehmen und Haushalte orientieren können.“ (Grüne).
Zur Bewertung der Texte entwickelten die Forscher eigens einen “Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er reicht von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich). Bei den Langfassungen der Wahlprogramme schneide das Programm der CDU noch am besten ab (Indexwert: 11,8), berichteten die Wissenschaftler. Am unverständlichsten sei das Programm der FDP. Mit einem Wert von 5,8 liege es nur knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3). Immerhin: Bis auf die CDU bieten sämtliche Parteien neben der Langfassung auch eine Kurzfassung ihres Programms.
Diese Kurzfassungen schneiden im Verständlichkeitstest deutlich besser ab: Die SPD erreicht sogar einen Wert von 17,2, die Grünen kommen auf 12,7, die FDP auf 12,4 und die Links-Partei auf 7,8. Doch für die Parteien ist es nach Einschätzung des Wissenschaftlers dringend nötig, hier noch besser zu werden. Denn: “Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, mahnte Brettschneider.
dapd