Merkels Kabinett macht Pflegereform fix - Spahn erwartet 400 Millionen Euro von Kinderlosen
Die nach langem Ringen in der Koalition ausgehandelte Pflegereform ist am Mittwoch vom Kabinett beschlossen worden. Gesundheitsminister Spahn tritt am Mittag vor die Presse.
- Seit Langem wird über die Pflegereform gestritten, nun liegen konkrete Gesetzespläne vor (siehe Erstmeldung).
- Arbeitsminister Heil (SPD*) und Gesundheitsminister Spahn (CDU*) verteidigten die Pläne (Update vom 2. Juni, 10.10 Uhr).
- Am Mittag stellte Spahn die Pläne vor - er erwartet nach eigenen Angaben 400 Millionen Euro aus einer Beitragserhöhung für Kinderlose (Update vom 2. Juni, 11.43 Uhr).
- Dieser News-Ticker zur Pflegereform wird fortlaufend aktualisiert.
Update vom 2. Juni, 12.00 Uhr: Die Pressekonferenz von Gesundheitsminister Jens Spahn zu den Plänen der Pflegereform ist beendet. Der Ressortchef hat noch einmal die bekannten Eckpunkt vorgestellt: Die Pflegeversicherung soll nur noch Häuser finanzieren, die nach Tarif bezahlen, zugleich sollen Eigenanteile zeitlich gestaffelt gedeckelt werden. Das benötigte Geld soll aus einem Bundeszuschuss und einer „moderaten Beitragserhöhung“ für Kinderlose von 0,1 Punkten kommen. Die Einnahmen aus zweiterer Quelle beziffert Spahn auf 400 Millionen Euro jährlich.
Die Debatte über die Reform dürfte dennoch weitergehen: Der frühere FDP-Minister Rainer Brüderle kritisierte in seinem neuen Amt als Präsident des Arbeitgeberverbandes bpa die Pläne am Mittwoch scharf: Mit den Entlohnungsplänen riskiere die Koalition „Existenzen von Unternehmen, stagnierende oder sogar sinkende Löhne und den Verfassungsbruch. Jens Spahn und Hubertus Heil legen mit diesem Gesetz die Axt an die private Pflege in Deutschland“.
Heil selbst trat nicht bei der PK auf - sondern gemeinsam mit Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in einer Pflegeeinrichtung in Bernau bei Berlin. Er betonte, es sei wichtig gewesen, die Menschen in der Altenpflege „nicht zu enttäuschen“. Es sei gelungen bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, ohne die Kosten auf die Pflegebedürftigen abzuwälzen. „Das ist nicht die ganz große Pflegereform für alles und jedes“, räumte er aber auch ein. Ziel müsse eine Bürgerversicherung auch in der Pflege sein.
Update vom 2. Juni, 11.53 Uhr: Arbeitsminister Hubertus Heil sei mit eingeladen gewesen, die Pressekonferenz zu bestreiten, verrät Spahn. Zur Frage, warum Heil und Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) stattdessen bei einem anderen Termin auftreten, äußert sich der CDU-Politiker nicht näher.
Update vom 2. Juni, 11.47 Uhr: Spahn rechnet nach eigenen Angaben damit, dass die Pflegenden tatsächlich von deutlich besseren Löhnen profitieren werden. „Die Pflegekräfte sitzen ja mittlerweile am längeren Hebel, genau betrachtet“, erklärt er - die Fachkräfte seien überall gesucht.
Die Tarifsteigerungen seien von den Pflegekassen zu refinanzieren, unterstreicht Spahn. Eine gesellschaftliche Debatte sei allerdings in den kommenden Jahren darüber zu führen, wie groß die Renditen der Pflegeheimbetreiber sein sollen, ergänzt Spahn. Dabei gehe es aus seiner Sicht, sicher nicht um zweistelligen Renditen. Gleichwohl seien Gewinne nötig - und auch Betreiber wie Caritas oder Arbeiterwohlfahrt benötigten zumindest schwarze Zahlen.
Merkels Kabinett macht Pflegereform fix - Spahn erwartet 400 Millionen Euro von Kinderlosen
Update vom 2. Juni, 11.43 Uhr: Auf Nachfrage erläutert Spahn die Finanzierung der Reform: Mit einer Milliarde Euro gebe es erstmals einen Bundeszuschuss zur Pflegeversicherung - rund 400 Millionen Euro sollen seiner Berechnung nach aus der Erhöhung der Beiträge für Kinderlose kommen. Die Kosten beziffert er auf drei Milliarden Euro aus höheren Löhnen und Deckelung der Eigenanteile.
Grundlage des Plans für die Mehrbelastung von Kinderlosen sei ein rund 20 Jahre altes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, betont der Minister. „So großes Glück Kinder sind, ist es finanziell jedenfalls eine Belastung“, erläutert er, „zugleich profitieren diejenigen, die keine Kinder haben - also auch ich - davon, dass andere künftige Beitragszahler großziehen“. Er habe Verständnis, dass es emotional belastend sei, wenn jemand ungewollt kinderlos geblieben sei, fügt Spahn hinzu. „Aber hier geht es ja nach wie vor um die finanzielle Belastung“.
Update vom 2. Juni, 11.38 Uhr: Bessere Entlohnung erhofft sich Spahn vor allem für die östlichen Bundesländer. Die nötigen Mittel sollen aus einem Bundeszuschuss und einer „moderaten“ Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge für Kinderlose kommen, bestätigt der Gesundheitsminister. „Sie sehen also, das ist ein beachtliches Pflegepaket“, lobt Spahn. Noch bis Ende Juni solle das Parlament den Vorschlag beraten und beschließen.
Spahn stellt Pflegereform-Pläne vor: Berufe sollen attraktiver werden - zeitlich gestaffelte Entlastung für Pflegebedürftige
Update vom 2. Juni, 11.33 Uhr: Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wo es in der Pflege trotz aller Bemühungen mangele, sagt Spahn. Er nennt unter anderem „zu wenig Personal“ und „zu viel Arbeit für zu wenig Lohn“ als Problemfelder. Mit der Pflegereform solle der Beruf attraktiver werden, betont der Minister. Einrichtungen sollen nur Geld aus der Pflegeversicherung bekommen, wenn bei ihnen nach Tarif bezahlt wird. Zugleich wolle man die Pflegebedürftigen finanziell nicht überfordern. Weil Pflegekosten über die Jahre auch Ersparnisse aufzehren, werde man die zu Pflegenden auch zeitlich gestaffelt entlasten, betont Spahn.
Update vom 2. Juni, 11.31 Uhr: Gesundheitsminister Jens Spahn stellt jetzt eines der letzten zentralen Projekte der Regierung Merkel vor: Die Pressekonferenz mit dem Ressortchef in Berlin hat begonnen.
Update vom 2. Juni, 10.35 Uhr: Eine Hürde hat die Pflegereform von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun schon einmal geschafft: Das Kabinett hat am Mittwoch die Gesetzespläne auf den Weg gebracht. Pflegekräfte sollen nach langem Streit um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen künftig generell nach Tarif bezahlt werden müssen (siehe Erstmeldung). Spahn tritt gegen 11.30 Uhr vor die Presse (siehe Update vom 2. Juni, 10.10 Uhr).
Merkels Kabinett macht Pflegereform fix - Spahn schon jetzt in Sturm der Entrüstung
Update vom 2. Juni, 10.10 Uhr: Das Bundeskabinett von Kanzlerin Angela Merkel* will die Pflegereform am Vormittag beschließen - um 11.30 Uhr soll Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das bis zuletzt stark umkämpfte Paket in einer Pressekonferenz vorstellen (wir berichten hier im News-Ticker). Doch schon vor dem wichtigen Termin schlägt die Kritik an den Plänen teils hohe Wellen. Spahn erklärte im WDR, er wünsche sich, dass „alle ein bisschen runterfahren und genau schauen, was passiert“
Eine Schelte kam unter anderem aus Bayern. „Es ist bedauerlich, dass sich tiefgreifendere Reformpläne gegen den Bundesfinanzminister offenbar nicht durchsetzen ließen“, sagte Spahns Amtskollege Klaus Holetschek (CSU). „Die Pflegebedürftigen in Deutschland hätten eine deutlichere Entlastung verdient - es wäre Aufgabe des Bundesfinanzministers gewesen, einen entsprechenden Bundeszuschuss bereitzustellen“, betonte er. Auch der Deutsche Städtetag übte Kritik und forderte, Heimbewohner sollten besser künftig nur noch einen festen Sockelbetrag zahlen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte bereits gestern von einer „Mogelpackung“ gesprochen (siehe Erstmeldung).
Spahn und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verteidigten das Paket am Mittwoch - auch gegen Vorwürfe instabiler Finanzierung und einer ungerechten Mehrbelastung für Kinderlose. „Wir haben diese Reform dieses Pflegepakets sauber ausfinanziert für die nächsten Jahre“, sagte Spahn im ZDF-“Morgenmagazin“. Ihm sei bewusst, dass die Erhöhung des Pflegeversicherungssatzes ein sehr emotionales Thema sei. Dennoch sei dies das richtige Vorgehen, erklärte Spahn. „Wer keine Kinder großzieht, hat jedenfalls finanziell weniger Belastung als jemand, der Kinder großzieht“, sagte er. „Wenn man bessere Löhne will und es gleichzeitig nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen sein soll, (...) dann wird man das aus der Pflegeversicherung und aus Steuermitteln finanzieren müssen“, sagte Heil dem Sender NDR Info.
Die Gesetzespläne zielen darauf, dass Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die nach Tarifverträgen oder in ähnlicher Höhe bezahlen - dem Entwurf zufolge ab 1. September 2022. Um Pflegebedürftige von steigenden Zuzahlungen aus eigener Tasche für die Pflege im Heim zu entlasten, sollen sie Zuschläge bekommen - voraussichtlich zum 1. Januar 2022. Die Zuschläge sollen höher ausfallen, je länger man im Heim ist. Zur Gegenfinanzierung soll der Bund ab 2022 einen Zuschuss von jährlich einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben. Zugleich soll der Zuschlag für Kinderlose beim Pflegebeitrag um 0,1 Punkte auf künftig 0,35 Prozentpunkte angehoben werden. Damit steigt der Beitrag für sie von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns.
Pflegereform: Kabinett soll wichtigen Schritt gehen - Verband spricht von „Mogelpackung“
Erstmeldung: Berlin - Nicht zuletzt die Corona-Pandemie brachte das Streitthema wieder in den Vordergrund: die seit Jahren geforderte und doch in der Schwebe befindliche Pflegereform. Doch jetzt könnte es nach all den Jahren plötzlich schnell gehen. Arbeitsminister Hubertus Heil kündigte im RBB-Inforadio am Dienstag an, er gehe von einem Kabinettsbeschluss zu diesem Thema am Mittwoch aus. Gesundheitsminister Jens Spahn setzte für Mittwochmittag sogar eine Pressekonferenz an. Dabei ist das Projekt aber umstritten - die Krankenkassen warnen vor Finanzlücken in Milliardenhöhe.
Heil sagte, die Neuregelung der Pflegereform könne nach dem Kabinettsbeschluss noch vor der Sommerpause vom Bundestag* verabschiedet werden. "Das ist ein wichtiges Signal für Pflegerinnen und Pfleger." Den Regierungsplänen zufolge sollen Pflegeeinrichtungen nur noch dann Geld aus der Pflegeversicherung bekommen, wenn bei ihnen nach Tarif bezahlt wird. "Die Konstruktion ist so, dass es eine Aufwärtsspirale gibt für die Löhne", sagte Heil. Dies gelte besonders für Betriebe, die bisher nicht nach Tarif bezahlen.
Kabinettsbeschluss zur Pflegereform steht an: Laut Heil weitere Reformen nötig
Heil betonte weiter, die Reform werde "auskömmlich refinanziert". Die Tarifsteigerungen würden von der Pflegeversicherung bezahlt. Soweit bisher bekannt wurde, sieht der Gesetzentwurf einen höheren Pflegebeitrag für Kinderlose sowie einen höheren Bundeszuschuss vor. Außerdem sollen Pflegebedürftige durch einen niedrigeren Eigenanteil entlastet werden. Langfristig seien allerdings weitere Reformen der Pflegeversicherung nötig, räumte Heil ein.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erwartet durch die nun vorgesehene Neuregelung bereits für das kommende Jahr eine Finanzierungslücke von zwei Milliarden Euro. Schon 2022 könnte eine Beitragssatzerhöhung die Folge sein, erklärte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer. "Eine nachhaltige Pflegefinanzierung sieht anders aus."
Pflegereform vor Verabschiedung: Scharfe Kritik von GKV und Verbänden
Scharfe Kritik an den Regierungsplänen äußerte auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Keine Bundesregierung zuvor hat den Pflegebedürftigen mehr aufgebürdet als diese", erklärte er. Brysch warf der Regierung vor, Pflegekräfte und Pflegebedürftige gegeneinander auszuspielen. "Die angestrebte tarifähnliche Bezahlung der Pflegekräfte wird die vier Millionen Leistungsbezieher mit voller Breitseite treffen", warnte er.
Zwar sieht der Gesetzentwurf der Regierung Entlastungen für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen ab dem zweiten Jahr des Aufenthalts vor. Brysch bezeichnete dies jedoch als "reine Augenwischerei", denn die "davongaloppierenden Kosten" würden damit nicht gedeckelt.
Pflegereform von Heil: Paritätische Wohlfahrtsverband spricht von „fauler Kompromiss“
Der Paritätische Wohlfahrtsverband urteilte, die Regierungspläne seien ein "fauler Kompromiss" und eine "Mogelpackung". Es fehle weiterhin eine wirksame Regelung zur Deckelung der Eigenanteile bei den Pflegekosten, die alle Betroffenen wirklich entlaste. Auch der Kompromiss zur Entlohnung von Pflegekräften falle weit hinter die Ankündigungen zurück. Es könne ein Flickenteppich bei den Löhnen entstehen.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wiederum urteilte, die Pflegereform sei "wenig zielführender Aktionismus im politischen Schlussverkauf der endenden Legislatur". Es würden neue Kosten für die Pflegeversicherung produziert, "die mit der jetzt beschlossenen Gegenfinanzierung schon im kommenden Jahr nicht mehr bezahlt werden können und daher unweigerlich zu Beitragssatzsteigerungen führen werden", erklärte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.
Video: Das verdienten Pflegefachkräfte im Jahr 2020 im Durchschnitt
Gleichzeitig werde versucht, in die Tarifautonomie einzugreifen. "Trotz überdurchschnittlich gestiegener Entlohnung in der Pflege spielt die Bundesregierung Tarifpartner von der Seitenlinie". monierte Kampeter. "Mit dieser De-facto-Verstaatlichung des Pflegesektors sollen private Betriebe praktisch aus dem Pflegemarkt gedrängt werden." (AFP/dpa/fmü) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA