Biathlon: "Deutschland hat seine Vormachtstellung längst verloren"

Herbert Fritzenwenger ist Vorsitzender des SC Ruhpolding, Experte im ZDF und Kenner des Biathlons. Im Interview mit chiemgau24.de spricht er über den Weltcup in Ruhpolding, den SC Ruhpolding und den Zustand des deutschen Biathlons.
Ruhpolding - Am 15. Januar beginnt der Weltcup im Biathlon von Ruhpolding. In der Chiemgau Arena in Ruhpolding werden sechs Wettbewerbe an fünf Wettkampftagen ausgetragen. Zehntausende Zuschauer werden erwartet.
Den Sprint der Damen am Mittwoch gewann Tiril Eckhoff aus Norwegen. Am Donnerstag wird der Weltcup in Ruhpolding mit dem Sprint der Herren fortgesetzt.
Im Vorfeld des Biathlon-Weltcups hat chiemgau24.de mit Herbert Fritzenwenger jr. gesprochen. Fritzenwenger, der selbst aktiver Biathlet war, ist erster Vorsitzender des Skiclubs Ruhpolding, Biathlon-Kommentator im ZDF und Kenner der deutschen und internationalen Biathlon-Szene. Hier gibt es alle Informationen zum Weltcup in Ruhpolding
Fritzenwenger spricht im Interview über den anstehenden Weltcup in der Chiemgau Arena, über den SC Ruhpolding und den Zustand des deutschen Biathlons im Vergleich zu anderen Nationen. Hier gibt es alle Termine zum Weltcup in Ruhpolding
Am 15. Januar beginnt der Weltcup in Ruhpolding. Die Damen laufen im Sprint, der Staffel und im Verfolger. Auch die Männer treten im im Sprint, der Staffel und im Verfolger an. Hier geht es zum Interview mit dem Wettkampfleiter des Weltcups in Ruhpolding
Biathlon: "Deutschland hat seine Vormachtstellung längst verloren"
Herr Fritzenwenger, der Weltcup in Ruhpolding steht unmittelbar bevor. Wie sind die Vorbereitungen heuer gelaufen?
Herbert Fritzenwenger: Reibungslos. Wir haben die Schneemenge produziert, die wir für den Weltcup benötigen. Das sind ungefähr 40.000 Kubikmeter. Der Schnee wurde in der Chiemgau Arena ausgelegt und hält, wir haben neue Videowände für die Zuschauer an der Strecke positioniert, die Sonnentribüne erweitert und liegen in allen anderen organisatorischen Bereichen im Zeitplan. Wir können sehr zuversichtlich in den Weltcup gehen und freuen uns auf eine großartige Biathlon-Woche in Ruhpolding.
Welchen Stellenwert hat der Weltcup für den SC Ruhpolding?
Fritzenwenger: Für den Verein ist der Weltcup die wichtigste Veranstaltung des Jahres. Dort können wir die Gelder generieren, die wir für unsere Nachwuchsförderung benötigen. Wir sprechen hier von 170 Kindern, die wir in sechs Sportarten ausbilden. Da braucht es die entsprechenden finanziellen Mittel.
In welcher Form verdient der SC an der Veranstaltung?
Fritzenwenger: Wir kümmern uns um die Zuschauerverpflegung beim Weltcup. Mit 250 ehrenamtlichen Helfern, die fast alle aus Kreisen des Skiclubs kommen, bewirten wir die vielen Zuschauer an den Wettkampftagen. Das ist existenziell wichtig und die finanzielle Basis des SC.
Wann beginnt die Vorbereitung?
Fritzenwenger: Wenn der Schnee im Frühjahr weg ist, werden unsere Verkaufshütten ertüchtigt und auf Vordermann gebracht. Dann geht es weiter mit der Organisation, der Einteilung der Mitarbeiter und der Bestellung der Ware. All das läuft über das ganze Jahr hinweg, ab Dezember beginnen dann die Feinjustierungen. Zusammengefasst: Das ist für uns ein Ganzjahresbetrieb.
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Sind Sie noch aufgeregt vor einem Weltcup?
Fritzenwenger: Nein, das muss ich nicht sein. Wir haben ein hervorragendes Team mit viel Erfahrung und hoher Expertise. Da muss ich nicht aufgeregt sein. Vorfreude ist da der bessere Begriff. Wir sind alle sehr gespannt und freuen uns auf den Weltcup.
In welcher Form ist der SC in den Weltcup involviert?
Fritzenwenger: Das Organisationskomitee (OK) besteht aus der Gemeinde, also der Chiemgau-Arena, und dem SC. Der erste Vorsitzende des OKs ist der Bürgermeister, der zweite Vorsitzende bin ich. Entsprechend eng ist die Zusammenarbeit. Das muss sie auch sein, denn neben der Verpflegung ist der SC auch sportlich ein wichtiger Teil des Weltcups. Wir stellen das Personal an der Strecke, am Schießstand und an der Strafrunde. Um den Aufbau und die Logistik kümmert sich die Gemeinde / die Chiemgau Arena. Da muss man Hand in Hand zusammenarbeiten.
Sie erleben viele Weltcup-Standorte im Biathlon? Schauen Sie sich bei dem einen oder anderen Veranstalter noch etwas ab?
Fritzenwenger: Ich bin sehr aufmerksam, was das angeht. Egal wo ich bin, man kann überall noch etwas lernen. Ob Dinge, die gut laufen, oder auch Dinge, die nicht funktionieren. Jeder Weltcup-Ort hat seine Stärken und Schwächen. Und wenn ich Ruhpolding mit anderen Orten vergleiche, stelle ich fest, dass wir sehr viele Stärken haben.
Was ist die größte Stärke des Weltcups in Ruhpolding?
Fritzenwenger: Das Team vor Ort ist unsere ganz große Stärke. Der Weltcup ist perfekt durchorganisiert, das ist den vielen Leuten zu verdanken, die darin involviert sind.
Sie sind seit September wieder der 1. Vorsitzende des SC. Welche Baustellen gibt es im Verein?
Fritzenwenger: Zusammen mit meiner Mannschaft habe ich einige Stellschrauben gefunden, die wir in Zukunft nachjustieren müssen. Wir haben Schwächen im Bereich Biathlon festgestellt, die wir beheben wollen. Zudem trainieren wir viele Sportlerinnen und Sportler von anderen Vereinen, ohne davon aber zu profitieren. Auch das muss sich in Zukunft ändern. Genaueres dazu wird es dann im Frühjahr geben. Wir werden ein Konzept präsentieren, das wir dann ab Mai umsetzen.
Wie ist der sportliche Zustand im Nachwuchsbereich?
Fritzenwenger: Im Skispringen haben wir eine hohe Qualität und Quantität, da wird einiges kommen in den nächsten Jahren. Im Langlauf haben wir eine hohe Quantität, bei der ich mir noch nicht sicher bin, wie sie sich qualitativ entwickelt. Im Biathlon sind wir leider nicht optimal aufgestellt. Auch was die Anzahl der Kinder betrifft, gibt es da noch viel zu tun.
An welchen Punkten werden Sie da ansetzen?
Fritzenwenger: Wir wollen uns künftig stärker auf Biathlon fokussieren. Zunächst ist unsere Hauptaufgabe, Kinder für den Wintersport zu begeistern. Das ist heutzutage nicht so einfach, Kinder sind vielen Reizen ausgesetzt. Deswegen wollen wir dafür sorgen, dass die Kinder Spaß am Sport haben, nur so können wir sie bei der Stange halten. Wer etwas gerne tut, macht es auch entsprechend gut. Und nur so können wir Sportler ausbilden, die dann perspektivisch im Leistungssport landen.
Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand in der Biathlon-Nachwuchsförderung in Deutschland?
Fritzenwenger: Da haben wir große Defizite. Die Grundlagen werden nicht mehr sauber gelehrt. Das umfasst die Technik im Laufen und das Schießen. Gerade im Schießen sehe ich fundamentale Probleme. Bevor die Kinder wirklich mit Biathlon anfangen, müssen sie meiner Meinung nach zunächst sauber schießen können. Darauf baut alles auf. Schauen wir uns doch einmal Laura Dahlmeier als Paradebeispiel an. Die hat als Kind geschossen wie eine Wilde, konnte jeden Schuss analysieren und hatte das dann irgendwann so verinnerlicht, dass sie darauf aufbauend zu einer Weltklasse-Athletin wurde. Diese Grundlagen beherrschen die Kinder heute nicht mehr. Und genau das muss sich ändern. Da sind wir als Verein in der Pflicht, der SC Ruhpolding kann das aber nicht alleine umsetzen, da muss ein ganzheitliches Konzept her.
Gibt es das nicht im Deutschen Skiverband (DSV)?
Fritzenwenger: Erst seit diesem Sommer wird unter der neuen sportlichen Leitung im DSV-Biathlon an diesen Strukturen gearbeitet. Da gab es einige Versäumnisse in den letzten Jahren. In anderen Ländern ist man da deutlich weiter.
Wie könnte so eine Struktur aussehen?
Fritzenwenger: Die Vereine müssen die Quantität schaffen und die Grundlagen im Laufen und im Schießen legen. Dafür braucht es ausgebildete Trainer, die kompetent sind, motiviert sind und motivieren können. Geht ein Athlet dann weiter in den Landesverband, muss der Verband darauf aufbauen können und die Kinder entsprechend weiterentwickeln. So geht die Entwicklung dann Schritt für Schritt weiter. Der Verband muss eine Struktur schaffen, die von oben bis unten stimmig und einheitlich ist. Alle müssen an einem Strang ziehen, es darf auf dem Weg in den Leistungssport kein Wissen verloren gehen. Oben muss eine Struktur geschaffen werden, jedes Glied in der Kette muss dann diese Struktur in seinem Bereich umsetzen.
Was sind die Konsequenzen aus der bisher fehlenden Struktur?
Fritzenwenger: Die Quittung dafür bekommen wir schon jetzt und werden die Konsequenzen in den kommenden Jahren noch deutlicher spüren. Deutschland war einmal die führende Nation im Biathlon, an der sich die anderen orientiert haben. Diese Zeiten sind längst vorbei, viele Nationen haben uns eingeholt und sogar überholt. Das deutsche Biathlon hat seine Vormachtstellung längst verloren.
Also müssen sich die Biathlon-Fans auf magere Jahre einstellen?
Fritzenwenger: Bei den Damen sehe ich in den kommenden Jahren nur Denise Herrmann und Franziska Preuß, die in der absoluten Weltspitze konkurrenzfähig sind. Dahinter wird es dünn. Die etablierten Weltcup-Läuferinnen sind in meinen Augen nicht gierig genug, geben sich auch mit mittelmäßigen Ergebnissen zufrieden. Und bei den Jüngeren sehen wir ganz klar, dass die bereits erwähnten Grundlagen fehlen. Ich sehe momentan keine aus der jüngeren Generation, die da ganz oben reinlaufen kann. Das kann sich in den kommenden Jahren noch ändern, dazu bräuchte es aber einen gewaltigen Schritt nach vorne. Das Niveau bei den Damen ist inzwischen so hoch, da kommt man mit durchschnittlichen Fähigkeiten und begrenztem Ehrgeiz nicht mehr ganz nach vorne.
Wie stellt sich die Situation bei den Herren dar?
Fritzenwenger: Deutlich besser als bei den Frauen. Wir sehen es ja dieser Tage, das deutsche Herren-Team ist mit vielen guten Athleten vorne dabei. Der Routinier Arnd Peiffer ist weiterhin Teil der Weltspitze. Benedikt Doll, Johannes Kühn und auch Philipp Horn sind sehr gute Läufer, die bei einem guten Schießergebnis ganz vorne mit dabei sind. Von diesen Dreien erwarte ich mich für die Zukunft sehr viel. Und in diesem Sog können sich dann Talente wie beispielsweise Lucas Fratzscher auch besser entwickeln.
Wie geht es weiter mit dem deutschen Biathlon?
Fritzenwenger: Ich hoffe, dass die Missstände von allen Seiten erkannt und gemeinsam angegangen werden. Biathlon ist der wichtigste Wintersport in Deutschland, das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Jetzt müssen alle mit anpacken, um das deutsche Biathlon nachhaltig wieder an die Weltspitze zu führen und dort auch zu halten. Nur draufhauen und schimpfen bringt nichts, jetzt müssen Taten her - Von allen Beteiligten.
Vielen Dank für das Interview
Quelle: chiemgau24.de
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