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Pichler sagt Olympia-Teilnahme ab und sorgt sich um den deutschen Sport

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Von: Karlheinz Kas

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Wolfgang Pichler entwirft daheim schon wieder Pläne für seine Sportler und Trainer.
Wolfgang Pichler entwirft daheim schon wieder Pläne für seine Sportler und Trainer. © Karlheinz Kas

Wolfgang Pichler aus Ruhpolding ist einer der erfolgreichsten Wintersporttrainer der Welt. Bei den Olympischen Spielen wird er allerdings nicht mit vor Ort sein. Er wird die Medaillenjagd seiner schwedischen Sportler vor dem Fernseher dabeim im Chiemgau verfolgen. Und natürlich auch die deutschen Leistungen genau beobachten.

Ruhpolding – Wolfgang Pichler hat mit seinen Sportlern 37 Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gewonnen und gehört damit zu den erfolgreichsten Trainern im Wintersport weltweit. Aktuell bekleidet der Ruhpoldinger einen Direktorenposten im schwedischen Olympischen Komitee und arbeitet für die Biathleten sowie für den Eisschnelllaufverband der Skandinavier. Für die Winterspiele in Peking wurde er bereits mit kompletter Kleidung ausgerüstet, aber er sagte seine Teilnahme nach zuletzt sieben Winterspielen am Stück ab. Im Gespräch mit unserer Redaktion begründet der 66-Jährige seine Entscheidung, erklärt, warum er während des Biathlon-Weltcups in Ruhpolding im Trostberger Krankenhaus lag und wie er die Chancen für Schweden und Deutschland in Peking sieht. Und er präsentiert einen ganz großen Goldkandidaten, der er in Inzell betreut und ihn vom Chiemgau aus zu den Spielen losschickt.

Auch einen Eisschnellläufer trainiert

Herr Pichler, Sie haben die Olympischen Spiele in Peking abgesagt, warum?

Wolfgang Pichler: Es ist nicht so dramatisch, denn ich arbeite nicht direkt am Mann. In meiner neuen Funktion bin ich quasi Trainer der Trainer. Ich hatte ja den Herzinfarkt und da muss ich schon etwas vorsichtig sein. Aber ich habe bis zu seiner Abreise nach Peking unseren Eisschnellläufer Nils van de Poel betreut. Ich organisiere auch alles für ihn.

Was heißt das?

Pichler: Seit 2. Oktober war ich mit ihm täglich in der Max-Aicher-Arena in Inzell beim Training.

Haben Sie vom Eisschnelllauf überhaupt eine Ahnung?

Pichler: (lacht) Es geht hier nicht um die Verbesserung seiner Technik, sondern um seine Ausdauer. Ich nehme seine Rundenzeiten, seine Laktatwerte und kümmere mich um alles, was ein Weltklassesportler eben so braucht. Ich bin ständig in Verbindung mit seinem Trainer, der kürzlich Vater geworden ist und deshalb nicht in Inzell sein konnte. Aber wir hatten hier in der Eishalle optimale Bedingungen.

Ist er ein Medaillenkandidat?

Pichler: Natürlich! Er ist Weltrekordinhaber über 10 000 und 5000 Meter. Das ist einigermaßen überraschend, denn er hatte komplett mit dem Eisschnelllauf aufgehört. Ich hatte ihn dann vor gut zwei Jahren mal angerufen, ob er nicht wieder Lust auf Eisschnelllauf hätte. Man muss wissen, dass er von Null gekommen ist. Er ist dann im letzten Jahr zwei Mal Weltmeister geworden. Er kann so hart trainieren, so etwas habe ich noch nie erlebt. Er ist kein einfacher Typ, aber er ist knallhart zu sich selbst. Er hatte zuletzt schon seinen Zeitrhythmus für Peking umgestellt, ging um 18 Uhr ins Bett und ist um 3 Uhr nachts aufgestanden. Er ist aus Calgary gekommen, es hatte minus 10 Grad, ich hatte ihm ein Rad besorgt und er ist damit sechs Stunden herumgefahren.

Und wie ist seine Form?

Pichler: Er hat in dieser Saison alle vier Weltcups gewonnen und bei der Qualifikation zu den Olympischen Spielen seine Konkurrenz zerstört. Man muss wissen, dass in Peking über die 10 000 Meter nur zwölf Eisschnellläufer antreten dürfen. Die Ausscheidung dazu fand in Stavanger in Norwegen statt. Da hat er die Weltelite um 18 Sekunden distanziert. Das sind im Eisschnelllauf Welten. Der Druck ist für ihn enorm. In Schweden schreiben die Medien nicht, ob er Gold holt oder nicht, sondern ob er zwei Goldmedaillen gewinnt oder nicht.

Während des Biathlon-Weltcups im Krankenhaus

Zum Biathlon: Wie haben Sie den Weltcup in Ruhpolding miterlebt?

Pichler: Erstmals war ich nicht in der Chiemgau-Arena. Ich wurde vor der Akkreditierung positiv auf Corona getestet, obwohl ich geboostert bin. Und weil meine Werte bei der Sauerstoffsättigung so gering waren, kam ich ins Krankenhaus nach Trostberg. Ich wurde dort bestens betreut und nach dem Ruhpoldinger Weltcup in guter Verfassung entlassen.

Wie schneiden die schwedischen Biathleten in Peking ab?

Pichler: In einem Olympia-Jahr zählt nicht der Weltcup, sondern nur olympische Medaillen. Bei den Biathletinnen hat Schweden die beste Mannschaft der Welt. Auch die Herren sind gut drauf. Ich hoffe auf mehrere olympische Medaillen, denn die Vorbereitung ist so gelaufen wie bei den letzten acht olympischen Spielen auch. Aber man braucht auch Glück in China.

Sie kennen Strecken und Schießstand in Peking.

Pichler: Ich war vor zwei Jahren dort, habe mir das Biathlonzentrum genau angeschaut. Der Schießstand dort ist sehr windanfällig. Das werden ganz schwierige Bedingungen. Hinzu kommt auch die Höhenlage. Alle bisherigen Weltcup-Ergebnisse zählen nicht.

„Von den deutschen Damen enttäuscht“

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?

Pichler: Von den Damen bin ich bisher enttäuscht, wenn man Aufwand und Ertrag betrachtet. Franziska Preuß hatte sehr viel Pech. Die deutschen Männer schlagen sich gut. Die Staffel hat alle Chancen auf eine Medaille. Wenn Benedikt Doll am Schießstand durchkommt und einen guten Tag erwischt, ist er in allen Formaten für eine Medaille gut.

Sie sorgen sich um den deutschen Leistungssport, warum?

Pichler: Schauen wir mal auf die letzten Olympischen Sommerspiele: Die Niederlande mit gerade mal 18 Millionen Einwohnern hat mehr Medaillen geholt als Deutschland. Bei Winterspielen war Deutschland immer bei den besten Nationen, aber es sieht nicht gut aus. Medaillen werden wohl nur in Randsportarten wie Rodeln, Bob oder Skeleton geholt, vielleicht noch beim Skispringen oder in der Nordischen Kombination.

Woran liegt das?

Pichler: Der Individualismus wird kleingeschrieben, es wird zu sehr immer an einem Schema gearbeitet. Mir kommt es im deutschen Sport wie in einem Beamtentum vor. Das gesamte Programm wird nur so abgespult. Das Fernsehen berichtet auch nicht so kritisch, alles wird nur so gut verkauft. Aber das ist ein Fehler. Deutschland war im Biathlon eine Spitzennation, davon sind wir weit entfernt.

Spiele werden „besser, als man glaubt“

Olympische Spiele in Peking – wie ist Ihre Meinung dazu?

Pichler: Bei meinem Besuch dort war ich schon überrascht. Die Olympiastätten sind ziemlich nachhaltig. China hat klare Konzepte, wie es nach den Spielen weitergehen soll. Es wurde auch eine Hochgeschwindigkeitsbahn von Peking zu den Sportstätten gebaut. Da ist man in 30 Minuten vor Ort. Die Spiele werden besser, als man glaubt und der Wintersport wird in China sicher angekurbelt. Wenn von 1,2 Milliarden Chinesen 50 oder 60 Millionen Menschen zum Skifahren anfangen, dann wird ein neuer gigantischer Markt erschlossen. Aber es ist schon seltsam, denn Schweden hat sich mehrfach beworben und hat die Spiele nie bekommen. Die letzten Olympischen Winterspiele in Europa waren 2006 in Turin, das ist 16 Jahre her. Von den letzten sieben Olympischen Winterspielen fand nur eine in Europa statt.

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