Zu alt, zu teuer, überqualifiziert

München - Unser Land altert. Dieser Entwicklung müssen die Firmen Rechnung tragen. In Teil II dieser Serie berichtet ein 56-Jähriger von seinem Bewerbungsmarathon.
Die Bevölkerungsentwicklung bestimmt den Trend: Firmen müssen sich verstärkt um ihre älteren Mitarbeiter bemühen, denn es kommen immer weniger junge nach. In der Praxis sieht das oft anders aus: Dort ist Alter ein Handicap. Vom Bewerbungs- Marathon eines 56-Jährigen.
Eine feinsäuberlich angelegte Computer-Tabelle ist alles,
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie: Da tickt eine Zeitbombe
Lesen Sie hier den dritten Teil:
was ihm von der Arbeitswelt noch geblieben ist, was noch geordnet nach festen, nach seinen Regeln läuft. Doch sein Leben hat er nicht mehr im Griff, nicht mehr so, wie er es gewohnt war, wie er es gern wieder hätte.
In Spalten und Zeilen hat Markus Schantz (Name geändert), 56, verheiratet, drei Kinder, aus dem Münchner Umland, seinen bundesweiten Bewerbungs- Marathon festgehalten: wann, welche Firma, welcher Ansprechpartner, welcher Job, Rückmeldung.
Seit zwei Jahren sucht der Diplom-Ingenieur mit über 25 Jahren Berufserfahrung in der Halbleiter-Branche eine neue Anstellung. Gerne im technischen Service-Bereich – egal welche Geräte. Hauptsache Technik. Hauptsache eine Aufgabe. In Spitzenzeiten schickt Schantz ein Dutzend Mappen in der Woche los, mit der Hoffnung, dass eine das große Los bringt. „Manchmal geht aber auch drei Wochen lang gar nichts“, sagt er. Auf 270 Bewerbungsschreiben hat er es bislang gebracht. 17 Mal durfte erzum Vorstellungsgespräch. Alles vergeblich – kein Unternehmen zeigte Interesse.
Die Absagen klingen alle gleich, die Begründungen sind juristisch einwandfrei. Doch sind sie echt? „Nein“, sagt Schantz. Denn nirgendwo bekommt er direkt gesagt: „Herr Schantz, Sie sind zu alt für uns.“ Dabei sei genau dies, das „fortgeschrittene Alter“, das Haupt-Handicap, das schwinge bei jeder Absage, bei jedem Gespräch mit. Davon ist der 56-Jährige überzeugt – ebenso sein Bewerbungs-Trainer.
Er, der früher selbst Mitarbeiter eingestellt und Bewerbungsgespräche geführt hatte hat sich diesen „Coach“ geholt, um „die aktive Vermarktung der eigenen Person“ zu verbessern, wie er sagt.
Firmen pochen dabei auf individuelle Bewerbungsschreiben – kein Personal-Chef liest gerne den ausgefüllten Lückentext der Vorlage xy aus dem Bewerbungs-Buch. Und doch schicken viele dieser Firmen selbst unpersönliche Standard-Absagen. Darunter manch Kurioses. So heißt es in der E-Mail eines Wind-Energie- Unternehmens: „Guten Tag Herr Schantz, vielen Dank für Ihre Bewerbung (...) Wir möchten darauf hinweisen, dass Sie, falls Sie minderjährig sind, sich nur mit Zustimmung Ihrer Erziehungsberechtigten bei uns bewerben dürfen (...) Freundliche Grüße . . .“ Lachen mag Schantz über solch skurrile Antworten nicht mehr.
Er will wieder gebraucht werden – so richtig, im Beruf. Denn mit der Arbeit am Herd kann er sich nicht wirklich anfreunden. „Haus und Küche sind nicht meine Motivation“, gibt Schantz etwas kleinlaut zu. Und zu kochen, was ihm gefällt, sei bei seiner Familie auch nicht auf Gegenliebe gestoßen, sagt er und schmunzelt.
Überhaupt fällt es ihm schwer, sich zu motivieren, morgens aufzustehen. „Früher haben jeden Morgen schon zwei Katastrophen-Meldungen im Büro auf mich gewartet“, sagt Schantz und seine Augen blitzen bei der Erinnerung daran. Dann hatte irgendwer irgendwo ein technisches Problem und nur er konnte es lösen. „Mein Tag war komplett ausgebucht. Ich war ständig unterwegs, kein Tag war planbar“, erzählt er.
Doch dann kam der Jahreswechsel 2005/2006 und mit ihm die Hiobsbotschaft vom japanischen Mutterkonzern, dass seine Firma geschlossen wird. Schantz hätte in die Niederlassung nach Dresden wechseln können, „aber ich hatte hier gerade mit dem Hausbaubegonnen,meine drei Kinder gehen hier zur Schule, ich konnte nicht weg“, sagt er. Er entschied sich gegen Dresden, ließ sich abfinden, ging auf Jobsuche – und hatte Erfolg: Er bekam eine Stelle als Service- Leiter. Auf zwei Jahre befristet. Nach den zwei Jahren kam die Wirtschaftskrise und mit ihr die Kündigung. Das war im Jahr 2008 – seitdem bleibt der Erfolg aus.
Dabei ist Schantz bescheiden: „Ich muss nicht mehr an die 80 000 Euro im Jahr verdienen wie früher“, sagt er, „ich wäre auch mit der Hälfte zufrieden“. Doch das gehe nicht in die Köpfe der Firmenverantwortlichen. „Ein Rückschritt wird nicht akzeptiert“, meint Schantz. Fragt er nach den Gründen für die Ablehnung, heißt es: „Bei uns würden Sie sich doch nicht glücklich und ausgelastet fühlen.“ „Für diese Stelle sind Sie eindeutig überqualifiziert.“
Markus Schantz hat sich ein Limit gesetzt. „Die 300 mache ich noch voll und dann war’s das mit den Stellenbewerbungen“, erklärt er. Dann will sich der Diplom-Ingenieur den Firmen nicht mehr als potenzieller Angestellter vorstellen, sondern als Freiberufler, als eigenund selbstständiger Unternehmer, an den man Aufträge ohne große Verpflichtungen vergeben kann oder auch nicht. „Vielleicht bekomme ich so wieder einen Fuß in die Tür“, hofft Schantz.
Stefanie Backs