"Schlechte Arbeit macht alt"

München - Unser Land altert. Doch wer die Lebensmitte überschritten hat, gehört noch längst nicht zum alten Eisen. In Teil III der Serie lesen Sie warum.
Die Gruppe der älteren Arbeitnehmer wird nicht nur immer größer. An ihr haften auch so manche Klischees. Über die tatsächlichen Auswirkungen des Alters auf die Leistungsfähigkeit sprachen wir mit dem Mediziner und Psychologen Michael Falkenstein.
Münchner Merkur: Herr Professor Falkenstein, es wird viel gesprochen über die „silberne Belegschaft“. Ab wann gehört man zu dieser Gruppe der Älteren?
Michael Falkenstein: Im Arbeitsleben spricht man oft schon
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie: "Da tickt eine Zeitbombe"
Lesen Sie hier den zweiten Teil: Zu alt, zu teuer, überqualifiziert
ab 50 Jahren von älteren Mitarbeitern, wohingegen ein Spitzensportler mit 30 Jahren schon alt ist.
Und was sagt die Kategorie „älter“ außerhalb des Spitzensports aus – hängt davon die berufliche Leistungsfähigkeit ab?
Die berufliche Leistungsfähigkeit hängt nur ganz minimal vom Alter ab. Im Labor messen wir zwar Veränderungen durch das Alter etwa beim Sehen oder Hören. Aber im Alltagsleben wird das gut kompensiert, da haben Ältere ihre Methoden gefunden.
Also kann ein Arbeitnehmer mit 55 genauso produktiv arbeiten wie ein 25-Jähriger?
Ganz genau. Allerdings gibt es einen kleinen Haken – und das ist die Art der Beschäftigung. Während es bei Dienstleistungen überhaupt keine Abhängigkeit der Leistung vom Alter gibt, ist bei den gewerblich Beschäftigten, wie zum Beispiel am Fließband der Autoproduktion, ein minimales Abflachen feststellbar.
Also altert man am Fließband schneller?
Wir haben ältere Fließbandarbeiter und ältere Nichtfließbandarbeiter per Hirnstrommessung miteinander verglichen und sehr deutliche Unterschiede festgestellt, wohingegen sich junge Fließbandarbeiter und ältere Nichtfließbandarbeiter kaum unterscheiden. Milde gesagt heißt das, dass die lange Arbeit am Fließband den Leuten nicht hilft. Schlechte Arbeit macht alt, genauso wie schlechtes Essen, schlechte Lebensgewohnheiten. Ich bin eben, was ich tu’. Aber das Alter an sich ist nichts Schicksalhaftes und steht nie für sich allein.
Was heißt das?
Es hängt immer von den Umständen ab. Innovations- und Anpassungsfähigkeit kann man genauso wie die Produktivität massiv beeinflussen durch eine optimale Arbeits- Umgebung, sowie einen vernünftigen Umgang mit älteren Mitarbeitern.
Die Werbung hat die sogenannten Best Ager für sich als Markt entdeckt und geht auf Bedürfnisse der Älteren ein, gibt es ein solches Umdenken auch in den Betrieben?
Das setzt langsam ein. Die Unternehmen wissen, dass sie nicht an den älteren Arbeitnehmern vorbeikommen schließlich kommen ja immer weniger junge nach. Die großen Konzerne sind hier schon recht weit und haben speziell dafür geschultes Personal. Aber gerade bei den mittelgroßen Firmen hapert es noch.
Weil solche Sonderprogramme teuer sind?
Nein, das ist nicht teuer. Es rechnet sich letztlich immer, weil zufriedene Mitarbeiter stets mehr leisten und weniger krank sind.
Was können Betriebe für die Älteren machen?
Sie zum Beispiel auch jenseits der 50 noch schulen und weiterbilden. Ihnen Gedächtnisund Stressabbau-Training anbieten, genauso wie ausgewogene Ernährung in der Kantine und vergünstigte Sportmöglichkeiten. Das sehe ich als Pflicht des Arbeitgebers für all seine Beschäftigten an.
Und was wäre für einen Älteren kein optimales Arbeitsgebiet oder Arbeitsumfeld?
Im Alter lässt das Gehör nach – das ist so. Einen älteren Menschen in ein Großraumbüro oder in ein Callcenter zu stecken, wo der Geräuschpegel enorm ist, wäre absolut verkehrt. Auch für den Körper schlechte Arbeit, wie Überkopf arbeiten oder auf dem Dach stehen, sollten speziell Ältere nicht zu lang am Stück und nicht bis ins hohe Alter machen.
Wie wichtig ist die Altersstruktur in einem Unternehmen? Wie ausgewogen muss sie sein?
Altersgemischte Teams sind nicht immer gut. Es gibt durchaus Fälle, wo das ungünstig ist für die Zufriedenheit und die Produktivität. In einem Architektenbüro, in der Wissenschaft, im Dienstleistungsbereich, wo es nicht monoton zugeht, werden Ältere kreativer, wenn sie mit Jüngeren zusammenarbeiten und diese profitieren ihrerseits davon. Wenn sie aber am Fließband zusammen stehen, ist das schlecht.
Warum?
Weil Ältere den ganz schnellen Takt nicht so lange durchhalten können. Dazu kommt, dass oft Vorurteile gegen sie bestehen, das hemmt zusätzlich. Müssen die Jüngeren dann einspringen, um das Soll zu erfüllen, entsteht Unmut und daraus mehr Querelen.
Nimmt mit dem Alter die Flexibilität ab?
Nein, das ist Unsinn. Den Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben bekommen auch ältere Fließbandarbeiter gut hin, genauso wie die Jungen.
Und was ist mit der räumlichen Flexibilität, also der Mobilität?
Wenn man ein Haus hat, ist man nicht mehr so flexibel. Das stimmt schon. Aber pauschal kann man nicht sagen, dass Ältere weniger mobil sind.
Was muss sich ändern, damit wir die zukünftige Situation mit einem Überhang an Älteren meistern?
Man sollte davon abkommen, dass ein Mensch sein Leben lang immer das Gleiche tun muss. Das macht kaputt. Die Arbeitswelt muss auch in den unteren Hierarchie-Ebenen flexibler werden und man muss frühzeitig damit beginnen, Leute umzuschulen, um ihnen die Chance auf einen Wechsel zu ermöglichen.
Und die Rente . . .
. . . rückt weiter nach hinten. Man wird sicherlich länger arbeiten müssen. Es kann in Zukunft nicht angehen, dass man mit 60 in Rente geht, denn dann gäbe es ein Generationen- Problem. Die Leute werden irgendwann auch bis 70 arbeiten – und warum auch nicht, schließlich macht Arbeit Spaß – wenn sie denn flexibel, selbstbestimmt und vielschichtig ist.
Das Interview führte Stefanie Backs